Die Bestimmung, (Abs. 4) des § 1671 BGB a. F., wonach die elterliche Sorge einem Elternteil allein zu übertragen sei, war ja schon lange vorher als verfassungswidrig aufgehoben worden. (BVerfGE 61, 358; FamRZ 1982, S. 1179). Art. 6, Abs. 2 des Grundgesetzes besagt ja, daß Pflege und Erziehung der Kinder das natürliche Recht der Eltern und die zuvörderst ihnen obliegende Pflicht sind. Auch § 1626, Abs. 1, Satz 1 BGB n. F. lautet dementsprechend: ,,Die Eltern haben die Pflicht und das Recht, für das minderjährige Kind zu sorgen (elterliche Sorge)".
Nach der neuen Fassung des KindRG bleibt ein gemeinsamen Sorgerecht auch nach einer Trennung/Scheidung bestehen (Bei nicht verheirateten Eltern kommt ein gemeinsames Sorgerecht allerdings zunächst nur auf Grund eines gemeinsamen Antrags der Eltern zustande, §§ 1626a, 1672 BGB n.F.). Jeder Elternteil kann dann aber nach § 1671 BGB n. F. beantragen, daß ihm das Familiengericht die elterliche Sorge oder einen Teil der elterlichen Sorge allein überträgt. Dem Antrag ist stattzugeben, soweit (Abs. 2)
Nach Abs. 2 Nr. 2 ist also die Voraussetzung, daß dem Antrag auf Alleinsorge auch gegen den Willen des anderen Elternteils stattzugeben ist, an den weitgehend unbestimmten Begriff des Kindeswohl gebunden, was einem weiten Problemkreis der Interpretation Tür und Tor offen hält. Nach einer gängigen Interpretation braucht es nämlich dabei im Gegensatz zu § 1666 BGB keiner Feststellung, daß die gerichtliche Maßnahme zur Abwehr einer konkreten Kindeswohlgefährdung erforderlich ist. Allein die Feststellung, daß notwendige Entscheidungen von den Eltern nicht gemeinsam getroffen werden können und das Kind dauernder Zankapfel zwischen den Eltern ist, verlange eine Entscheidung zur Sorge. Dabei können auch Bindungen und Wünsche des Kindes und äußerliche Umstände wie Wohnverhältnisse und Betreuungsmöglichkeiten einfließen. Eingeschränkt wird der Entscheidungsspielraum nur dadurch, daß nach § 1627 BGB die Eltern die elterliche Sorge in eigener Verantwortung und in gegenseitigem Einvernehmen zum Wohle des Kindes auszuüben haben und bei Meinungsverschiedenheiten versuchen müssen, sich zu einigen. Gelingt dies in einer einzelnen Angelegenheit oder in einer bestimmten Art von Angelegenheiten der elterlichen Sorge, deren Regelung für das Kind von erheblicher Bedeutung ist, nicht, so kann das Gericht auf Antrag eines Elternteils diesem nach § 1628 BGB die Entscheidung übertragen, sofern dies dem Kindeswohl entspricht, die Übertragung jedoch mit Beschränkungen oder Auflagen versehen.
Nur dann, wenn über unterschiedliche Auffassungen zu einzelnen Fragen der Kindeserziehung hinaus auch der zwischen den Eltern zu fordernde Grundkonsens zerstört ist, wären die Voraussetzungen zur Beibehaltung der gemeinsamen Sorge nicht mehr gegeben Hiervon könnte beispielsweise dann ausgegangen werden, wenn auch in Angelegenheiten von erheblicher Bedeutung (§ 1628 BGB) wiederholt keine Einigung zwischen den Eltern erzielt werden konnte. So enthalten in der Begründung des Beschlusses des 14. ZS -5.FamS., OLG Oldenburg -14 UF 35/98 vom 10.7.98 (FamRZ 1998, S. 1464-1465) mit dem der Beschwerde des Vaters gegen die Übertragung der Alleinsorge für die Tochter auf die Mutter stattgegeben wurde und den erneuten Antrag der Mutter vom 1.7.98 auf Alleinsorge zurückwies. Die vorgebrachten Bedenken der Mutter gegen die gemeinsame Sorge bezogen sich auf die Vergangenheit in der der Vater wiederholt keine Zeit für das Kind gehabt habe und auf zwei partiell unterschiedliche Auffassungen zu Erziehung und Betreuung. Solche unterschiedlichen Auffassungen zu einzelnen Erziehungsfragen bestanden aber sicherlich auch während der Ehezeit und seien im übrigen jeder Beziehung immanent. Daß beide Elternteile kooperationsfähig und -willig sind, erkannte das Gericht auch aus der Tatsache, daß der Umgang des Vaters mit dem Kind problemlos funktioniert und das Kind (geb. 9.12.93) selbst äußere, daß es gern zum Vater gehe und sich von diesem auch gern zum Kindergarten bringen und abholen lasse.
Vgl. dazu auch die Entscheidung des AmtsG Groß-Gerau auf S. 1465 derselben Nummer von FamRZ, indem ebenfalls die Bindung des Kindes zum Vater, der funktionierende Umgang trotz einer Entfernung von 400 km, trotz der Vorbehalte der Mutter die offensichtlich auf Ereignissen aus der Zeit der Ehe beruhen, dazu geführt haben, daß es beim ,,Recht und der Verpflichtung des Vaters zur Mitverantwortung" bleibt.
Wie zu hoffen war, setzt sich diese Entwickung, unter Anwendung des KindRG, mit ähnlich gelagerten Beschlüssen zur Aufrechterhaltung der gemeinsamen Sorge trotz "Kopfschüttelns" (d.h. ohne erhebliche Ablehnungsgründe), wenn nach Auffassung des Gerichts eine Konsensfähigkeit in wesentlichen Erziehungsfragen besteht, fort. So z.B. die Beschlüsse des OLG Hamm, OLG Stuttgart, und OLG Zweibrücken, die in FamRZ 1999, Heft 1 veröffentlicht sind.
Mit Bezug auf eine Reihe von Entscheidungen (caselaw), angefangen von der Entscheidung des BVerfG (1982) mit der gemeinsame Sorge überhaupt erst möglich wurde, sind objektive Kooperationsfähigkeit und subjektive Kooperationsbereitschaft praktisch zur "gesetzlichen" Grundvoraussetzung für gemeinsame elterliche Sorge erhoben worden, deren Unabdingbarkeit dann keiner weiteren Begründung mehr bedarf. Ein sehr mutiges, mit wissenschaftlicher Akribie sowohl nach rechtlichen als auch psychologischen Gesichtspunkten sorgsam begründetes, rechtskräftiges Urteil des AmtsG Chemnitz vom 3. 9. 1998 - 4 F 681/97, FamRZ 1999 (5), stellt sich jedoch dieser Entwicklung deutlich entgegen. Selbst wenn die erforderliche Kooperationsbereitschaft fehlen würde, bestünde nach der seit 1. 7. 1998 geltenden Rechtslage kein Anlaß, an einem bisher - erfolgreich - bestehenden gemeinsamen Sorgerecht der Eltern eine Änderung herbeizuführen. Es wird sehr überzeugend argumentiert, daß eine Entziehung des Sorgerechts des nichtbetreuenden Elternteiles wegen der ablehnenden Haltung des andern dem Kindeswohl widerspricht, weil es u.a. dem Kontaktabbruch zum nichtbetreuenden Elternteil geradezu Vorschub leistet.
Die Erkenntnis, dass Konflikte, die in erster Linie mit dem Umgang zusammenhängen durch Alleinsorge nicht beendet werden und daher keinen Grund darstellen vom gesetztlichen Regelfall der gemeinsamen elterliche Sorge abzuweichen, liegt auch dem Beschluss des OLG Bamberg vom 9.2.1999 zugrunde.
Zumindest sollte aber der Versuch gemacht werden, festzustellen an wem die Kooperationsfähigkeit scheitert und dann bei der Zuteilung der Alleinsorge berücksichtigt werden, wie in der Entscheidung des OLG Bamberg vom 10.3.1999
Solange soche Entscheidungen einzelne "Leuchtturm:"-Urteile bleiben, bleibt der nachfolgende (zuvor) verfaßte kritische Kommentar leider weitgehend gültig, vor allem dann, wenn der betreuende Elternteil durch geeignete "Waffen" und Umgangsvereitelung zunächst für eine weitgehende Entfremdung der Kinder vom anderen Elternteil sorgte.
Kommentar: Obwohl diese Entwicklung auf grund des KindRG sehr erfreulich ist, ist der Umkehrschluß, der eine Zuweisung der Alleinsorge praktisch garantiert, dann wohl leider immer noch folgender: Man setze sich zunächst einmal in den "Besitz" des Kindes, etwa auf Grund einer einstweiligen Anordnung wegen behaupteter Gefahr, durch "Flucht" mit dem Kind, oder gar durch Entführung etc. Dann lehne man jedes Gespräch mit dem anderen Elternteil und dessen Umgang mit dem Kind möglichst strikt ab. Durch weitere Vorwürfe, eine lange Verfahrensdauer, Programmieren und Gehirnwäsche des Kindes kann die Bindung des Kindes zum anderen Elternteil weitgehend zerstört oder zumindest die Aussage des Kindes (augenscheinlicher Kindeswille) entsprechend beeinflußt werden. Als ultimativer "Vernichtungsschlag" (erhoben in etwa 40% der strittigen Fälle, vgl. VfK Info 2/96: ,,Zur Behinderung und Verweigerung ungestörter Umgangskontakte") erweist sich dabei die Anschuldigung des sexuellen Kindesmißbrauchs (gegen Väter) meist als äußerst wirksam, allein auf Grund der dann erfolgenden, erheblichen Einschränkung, wenn nicht völligen Ausschlusses des Umgangs, der durch Begutachtung erheblich verlängerten Verfahrensdauer und der weiteren schweren, entfremdenden Belastung des Kindes, auch wenn schließlich der Vorwurf überzeugend entkräftet wird. (Vgl. das Kapitel 7, "Waffen", in Ward&Harvey, Familienkriege - Die Entfremdung von Kindern, ZfJ 6/98). Eine lange Verfahrensdauer ist nämlich nicht nur ein ganz wesentlicher Faktor bei der Zerstörung der Bindungen des Kindes, sondern verhilft auch dem berühmten Kontinuitätsprinzip zur Wirksamkeit.
Man kann nur dankbar sein, daß wenigstens einzelne Richter und Sachverständige dieses grausame, obwohl fast immer erschreckend ähnlich ablaufende Spiel vollständig durchschauen, und dann wenigstens einige davon auch den Mut und die Kraft haben es zu unterbinden, z.B. durch Einschränkung oder Umkehr des Sorgerechts, vgl. die "Leuchtturm-Urteile" in unserer Info"Bindungstoleranz und PAS". Bloße Appelle an Einsicht und Vernunft erweisen sich aber meist als völlig unwirksam.
Man kann auch argumentieren, daß dem "entsorgten" Elternteil durch Zuweisung der Alleinsorge an den anderen elementare Rechte (aber auch Pflichten) gegenüber den Kindern genommen werden. Dies dürfe nicht ohne triftige Gründe (eigenes Verschulden, z.B. durch Gefährdung) geschehen und kann sonst auch den Gleichbehandlungsgrundsätzen widersprechen, wie sie das Grundgesetz und internationale Konventionen definieren (vgl. Koeppel ,,Die gemeinsame elterliche Sorge bei Scheidung im Lichte der EMRK und des UN-Zivilpaktes" DAVorm 7/93) :
Artikel 8 der Europäischen Konvention zum Schutze der Menschenrechte und Grundfreiheiten (EMRK) besagt, daß jedermann Anspruch auf Achtung seines Privat- und Familienlebens, seiner Wohnung und seines Briefverkehrs hat und daß eine öffentliche Behörde in dieses Recht nur aus sehr triftigen Gründen wie sie zur Wahrung der nationalen Sicherheit, der öffentlichen Ordnung, Verhinderung von Straftaten und dem Schutze der Rechte anderer notwendig sind, eingreifen kann..
Ähnliche Aussagen sind in den Artikeln 17, 23 des Internationalen Paktes über bürgerliche und politische Rechte (IPBPR) enthalten. Insbesondere verlangt Art. 23, Nr. 4 des IPBPR, daß die Signatarstaaten die Gleichheit der Rechte und Pflichten der Ehegatten bei der Eheschließung, während der Ehe, und ihrer Auflösung sicher stellen. Bei einer Auflösung muß auch der Schutz der Kinder sicher gestellt werden.
Die Gleichheit aller Menschen, insbesondere von Mann und Frau ist u.a. im Artikel 3 des Grundgesetzes garantiert, siehe auch Artikel 14 EMRK. Bzgl. Kindern siehe Artikel 24 IPBPR, sowie die Gleichstellung ehelicher und nichtehelicher Kinder in Art. 6. Abs. 5 GG.
Art. 6 der EMRK sichert ein Recht auf ein faires Verfahren zu und besagt in Abs.1 insbesondere, daß dieses innerhalb einer angemessenen Frist geschehen muß. Art. 13 EMRK sichert das Recht auf wirksame Beschwerde zu, auch gegenüber Personen die in amtlicher Eigenschaft gehandelt haben.
Die UN- Kinderrechtskonvention betont in den Artikeln 9-3 und 18-1 ebenfalls sehr deutlich das Recht des Kindes auf beide Eltern, auch wenn es von einem oder beiden Elternteilen getrennt lebt.
Einer ausführlichen Diskussion der Artikel 17 (Recht auf Privatheit), 23 (Schutz von Ehe und Familie) und 24 (Rechte des Kindes) des IPBPR war der bereits in ZfJ 79 (5), 1992, S.251-257 der Aufsatz ,,Die für die das deutschte Familienrecht bedeutsamen ,,General Comments" des Menschenrechtsausschusses der Vereinten Nationen -zugleich ein Beitrag zur anstehenden Reform des deutschen Kindschaftsrechts" von Peter Koeppel und Michael Reeken gewidmet, der auch zahlreiche Hinweise auf zusätzliche Literatur enthält. Zu dem oben erwähnten Art. 23. Abs. 4 heißt es unter Hinweis auf die Entscheidung im Fall Hendriks (ZfJ 1989, S. 487, 542), aber auch einer deutschen Entscheidung (Bamberg, DAVorm 1988, S. 448450=FamRz 1988, S. 572) und die ,,general comments", daß der Schutz des Kindes nicht auf eine Zerschlagung der Elternverantwortlichkeit zielen darf, sondern im Gegenteil vor den unnötigen Verlust eines Elternteils bewahren soll..Und weiter: ,,Die gängigen deutschen Sorge- und Umgangsrechtsregelungen führen in der Praxis deutscher Rechtssprechung in einer großen Zahl von Fällen immer wieder zu 'willkürlichen Eingriffen' in die 'Familie', beides im Sinne des Paktes verstanden." Ausführlich wird auch auf die Problematik des deutschen Nichtehelichenrechts eingegangen, die ja selbst jetzt, nach der Kindschaftsreform, noch im erheblichen Maße besteht (Sorgerecht des Vaters von Anfang an nur mit Zustimmung der Mutter).
Völkerrechtliche Vorgaben für ein neues deutsches Familienrecht diskutierte Peter Koeppel bereits in 1990 (Neue Justiz 12/90, S. 524-526) in einem Aufsatz mit diesem Titel. Er geht auch auf das "2 Tage Gesetz" (1. Familienrechtsänderungsgesetz) der DDR ein, und diskutiert ausführlich die Entscheidung des UN-Menschenrechtsausschusses zum Art. 23 IV IPBPR im Falle Hendrik Auch diese sehr lesenswerte Arbeit kritisiert die mangelnde Umsetzung, ja die weitgehende Ignoranz in Deutschland über diese internationalen Pakte.
Man sollte hier auch formal zwischen einem bestehenden Recht und seiner Inanspruchnahme oder Durchsetzbarkeit unterscheiden. Obwohl wir meinen, daß man sich weit stärker um die praktische Durchsetzbarkeit kümmern sollte, möchten wir darauf hinweisen, daß doch sehr häufig ein Umgangsrecht ausgesprochen wird, obwohl schon von Anfang an Zweifel an seiner Durchsetzbarkeit bestehen. Das (alltägliche) Konfliktpotential ist dann oft weit größer, als bei den wenigen, wichtigen, gemeinsamen Entscheidungen, die nach dem KindRG die gemeinsame elterliche Sorge noch ausmachen. Außerdem können solche, einzelne Entscheidungen nach § 1628 BGB auch wirksam auf das Gericht übertragen werden.
Außer diesen rein rechtlichen Argumenten sprechen
natürlich auch eine Vielzahl psychologischer Gründe
dafür, den Kindern möglichst gleichwertige Eltern zu
erhalten, vgl. z. B. die schon erwähnte VfK Info
1/97: "Gemeinsames Sorgerecht in
strittigen Fällen - weil Kinder beide Eltern
brauchen". Statt durch Aberkennung des Sorgerechtes
einen "guten" und einen "schlechten" ("entmündigten")
Elternteil zu schaffen, ginge von der Beibehaltung der
gemeinsamen Sorge, selbst wenn sie weitgehend praktisch nicht
durchsetzbar ist, eine positive Signalwirkung auf die
Eltern-Kind-Beziehung aus.