Information von Väter für Kinder e.V.:

 Tagungsbericht, Teil 2:

Psychologie im Familienrecht

Bilanz und Neuorientierung

Evangelische Akademie Bad Boll, 9. - 11. Dezember 1998
 

   Was erwarten Verfahrensbeteiligte vom Sachverständigen

Die Erwartungen welche Jugendamt, Verfahrenspfleger und Rechtsanwälte an die Arbeit von gerichtlich beauftragten Sachverständigen knüpfen wurden in 3 Workshops intensiv diskutiert, eingeleitet jeweils durch ein Kurzreferat im Plenum. Dabei kamen zusätzlich zu den spezifischen Anforderungen die sich jeweils aus der Rolle dieser Verfahrensbeteiligten ergeben, natürlich auch allgemeine Anforderungen zur Sprache die jeder ernsthaft am Kindeswohl interessierte Beteiligte stellen müßte.
Das schon in Teil 1 diskutierte zentrale Thema Statusdiagnostik versus Interventionsdiagnostik floß auch in diese Betrachtungen ein.

Am problematischsten ist zweifellos das Verhältnis Sachverständiger - Jugendamt, wie auch aus dem Kurzreferat und der Zusammenfassung des entsprechenden Workshops durch Dr. jur. Ferdinand Kaufmann deutlich hervorging. Das hat mannigfache Gründe. Sie liegen, das soll offen gesagt werden, auch auf die Gefahr hin heftige Proteste auszulösen, u.E. aber in erster Linie bei den Jugendämtern selbst und der besonderen Rolle die der Gesetzgeber diesen bei familiengerichtlichen Verfahren zugedacht hat. Nach §§ 49, 49a FGG ist das Jugendamt vor jeder Entscheidung die Kinder und Jugendliche betrifft vom Gericht zu hören. Anders als in manchen anderen Staaten umfaßt das hier neben "handfesten" Maßnahmen (z. B. Fremdunterbringung) bei akuter Kindeswohlgefährdung auch die subtilen Fragen einer langfristigen Regelung der elterlichen Sorge und des Umgangs bei Trennung oder Scheidung. Es liegt im Ermessen des Gerichts, ob zur Klärung dieser Fragen außer der Stellungnahme des Jugendamtes auch noch ein Sachverständiger mit einem Gutachten beauftragt wird. Allein diese Tatsache gibt u. E. zu vielerlei Mißverständnissen und Unsicherheiten auch innerhalb der Jugendämter Anlaß. In den Richtlinien für die Erstellung psychologischer Gutachten des Berufsverbandes Deutscher Psychologen (BDP) heißt es:
,,Ein psychologisches Gutachten ist eine wissenschaftliche Leistung, die darin besteht, aufgrund wissenschaftlich anerkannter Methoden und Kriterien nach feststehenden Regeln der Gewinnung und Interpretation von Daten zu konkreten Fragestellungen Aussagen zu machen". Die Erstellung solcher Gutachten ist demnach Aufgabe eines wissenschaftlich ausgebildeten Diplom-Psychologen. Viele Kontroversen auf die auch Kaufmann in seinem Aufsatz eingeht ließen sich vermeiden, wenn von Anfang an, ohne eine Wertung vorzunehmen, zwischen dieser Aufgabe und den mannigfachen (nicht wissenschaftlichen) Aufgaben eines Sozialpädagogen im Jugendamt deutlich unterschieden würde. Die Aufgabenstellung des Jugendamtes selbst hat mit der Einführung des sehr fortschrittlichen Kinder- und Jugendhilfegesetzes einen erheblichen Wandel von einer Verwaltungs- und Eingriffsbehörde zu einer modernen Serviceeinrichtung durchgemacht, die aber noch nicht in allen Köpfen ihren Niederschlag gefunden hat (vgl. z.B. Jopt, Jugendhilfe und Trennungsberatung). Dazu begab sich Kaufman auf eine umfangreiche Quellensuche. Er erwähnt, daß laut der ältesten Quelle, der Begründung des Reichsjugendwohlfahrtsgesetzes, das Jugendamt Gutachten abzugeben habe, weil es dazu vermöge seiner Sachkunde und Erfahrung am besten in der Lage sei. Der Bundesgerichtshof habe 1954 ausgeführt, daß sich das JA nicht nur auf die Mitteilung von Tatsachen beschränken darf (wie das z.T. wohl aus Resignation wegen der Kontroversen geschieht, als das dem der Erstellung eines "Gutachtens" durch das JA entgegengesetzte Extrem), sondern den Sachverhalt auch würdigen und bestimmte Vorschläge erbringen müsse. Er verschweigt auch nicht, daß ältere Handbücher die Stellung des Jugendamtes zum Gericht mit der von Polizei zur Staatsanwaltschaft (Hilfsorgan, Weisungsrecht) vergleichen. Heute ist die Mitwirkung in § 50, Abs. 1, 2 des KJHG (SGB VIII) gesetzlich geregelt, wenn auch nur sehr rudimentär. Demnach unterrichtet das JA über angebotene und erbrachte Leistungen, bringt erzieherische und soziale Gesichtspunkte ein und weist auf weitere Hilfemöglichkeiten hin. Die Leistung besteht neben einer Tatsachensammlung, der sich nach Meinung Kaufmanns auch der Sachverständige bedienen sollte, in erster Linie in der Beratung nach §§ 17, 18 SGB VIII. In dieser Eigenschaft hat das JA schon von vornherein die Rolle die von einem Gutachter bei einer Aufgabenstellung im Sinne einer Interventionsdiagnostik auch erwartet wird, nämlich möglichst auf eine einvernehmliche Lösung hinzuwirken, wie dies das KindRG jetzt deutlich verstärkt fordert.

Das KindRG hat die Rechtsposition des Kindes auch mit der in §50 FGG erfolgten Neuregelung der Vertretung durch einen Verfahrenspfleger gestärkt. Demnach ist die Bestellung zur Wahrnehmung der Interessen des Kindes in der Regel, außer bei Wegnahme des Kindes wegen Gefährdung, auch dann erforderlich, wenn das Interesse des Kindes zu dem seiner gesetzlichen Vertreter im erheblichen Gegensatz steht. Eine darüber hinausgehende Festlegung der Aufgaben und Qualifikation eines solches Pflegers wurde nicht gegeben. Das zieht derzeit ebenfalls noch einige Unsicherheit nach sich, wie sich in dem von RAin Grazia Schaus im Anschluß an ihr Kurzreferat geleiteten Workshop deutlich zeigte. In den USA beispielsweise, wo man schon auf eine lange Erfahrung mit solchen Prozeßbeteiligten (guardian ad litem) zurückblicken kann, hat sich neben der reinen Interessensvertretung des Kindes auch seine Bedeutung als ein allen Beteiligten, einschließlich der Eltern, im Vergleich zum Richter leichter zugänglicher Koordinator erwiesen. Das ist besonders bei der Koordination der interdisziplinären Arbeit in einer konfliktgeladenen Situation wichtig (vgl. Ward&Harvey, Familienkriege - die Entfremdung von Kindern). Weil bei Verfahren mit Kindern eine zügige Durchführung besonders wichtig ist, beschäftigen amerikanische Familiengerichte außer diesen Interessenvertretern des Kindes meist auch noch am Gericht direkt einen Koordinator des Verfahrens mit weitreichenden Befugnissen, der je nach Gerichtsbezirk special master, family master oder friend of the court genannt wird. Diese Koordinationsaufgaben wurden auf der Tagung zumindest indirekt angesprochen, indem erwartet wurde, daß der Verfahrenspfleger seinen Einfluß auf die Wahl des Sachverständigen geltend macht und auf eine möglichst rasche Durchführung der Begutachtung drängt. Er oder sie sollte auch das Kind vor sekundär schädigenden "Sachverständigen" schützen. Darüber hinaus wurden Anforderungen an Sachverständige formuliert, die wohl allgemein, unabhängig von der Position eines Verfahrenspflegers gelten sollten.

Diese Allgemeinheit der Anforderungen an Sachverständige kam besonders in den sehr prägnanten Formulierungen von RA Dr. Koeppel im Kurzreferat "Was erwartet der Rechtsanwalt vom psychologischen Sachverständigen" mit anschließenden workshop zum Tragen. Da der Anwalt als Prozeßbevollmächtigter jeweils einen Elternteil vertritt sind damit auch direkt die Interessen der Eltern und der Kinder angesprochen. Auch Eltern(teile) werden wissenschaftliche Qualifikation und Unabhängigkeit zumindest in dem Sinne erwarten, daß nur so ein positives Gutachten zustande kommen wird, das auch gegenüber dann zu erwartenden Einwänden der Gegenseite Bestand hat. Schnelligkeit der Ausführung und Korrektheit der Abrechnung  ist sicher auch im allseitigen Interesse. Kindorientiertheit beinhaltet eine Betrachtung des gesamten Familiensystems, mit dem Ziel die Eltern zur gemeinsame Sorge zu befähigen, statt nach dem "besseren" Elternteil Ausschau zu halten. Nur wenn dieses Bemühen scheitert, sollte der bindungstolerantere Elternteil gefunden werden um den bestmöglichsten Kontakt des Kindes zu beiden Eltern sicher zu stellen. In diesem Sinne geht auch Koeppel ausführlich auf das die ganze Tagung prägende Thema Interventionsdiagnostik versus traditionelle Statusdiagnostik ein. Die Forderung, daß sich auch der Sachverständige um eine einvernehmliche Lösung bemüht ergebe sich in jedem Falle, auch ohne expliziten Auftrag, aus §52 Abs. I FGG des KindRG. Nicht eingegangen wird in dem Referat auf die Art der spezifischen Wechselwirkung zwischen Anwalt und Sachverständigen, insbesondere die Auswahl des Gutachters betreffend. Letzteres wurde im Workshop "Richter und Sachverständige" von einem Anwalt etwas zynisch, aber wohl auf Erfahrung beruhend, etwa so formuliert: Man schlage diejenigen Sachverständigen dem Gericht vor, deren Bestellung man verhindern wolle.
Da das sehr lesenswerte Referat, mit einer Fülle von Zitaten aus der Literatur, vom Verfasser freundlicherweise im Volltext zur Verfügung gestellt wurde, wollen wir uns an dieser Stelle mit diesen Hinweisen begnügen.
 

Tagungsbericht, Teil 1

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