Information von Väter für Kinder e.V.:

Sorgerechtsregelung zugunsten eines Elternteils gegen dessen Willen


OLG Karlsruhe, Beschluß vom 27.08.1998 - 2 UF 135/98

Seit der Reform vom 1.7.1998 hebt das Kindschaftsrecht deutlicher hervor, dass, entsprechend Artikel 6 GG, elterliche Sorge und Umgang nicht nur Rechte, sondern auch Pflichten sind. In der Neufassung zur elterlichen Sorge (§§ 1626, 1631 BGB n. F.) heißt es jetzt "die Pflicht und das Recht" statt "das Recht und die Pflicht". Unter Bezug auf diesen Punkt hat das OLG Karlsruhe mit Beschluß vom 27.08.1998 - 2 UF 135/98 die Beschwerde gegen die Sorgerechtsregelung (§1671 Abs. 2 BGB n. F.) zugunsten eines Elternteils (Alleinsorge) gegen dessen Willen abgewiesen.

Allerdings scheint es, dass wir es, statt einer wirklich bahnbrechenden Entscheidung, eher mit einem etwas bizarren Fall zu tun haben. Es erscheint uns selbstverständlich, dass elterliche Sorge eine Pflicht ist, also von dazu befähigten Eltern oder wenn nicht anders möglich einem Elternteil ausgeübt werden soll, und dann nicht etwa von Pflegeeltern oder Heimen, selbst wenn dies, wie im vorliegenden Fall, zunächst eine Verbesserung der Wohnverhältnisse oder anderen zusätzlichen finanziellen Aufwand erfordern sollte. Eher bedenklich erscheint uns dagegen, dass,,nach heftigen Auseinandersetzungen der Parteien und Einholung eines psychologischen Gutachtens" das Amtsgerichts - Familiengericht - Schwetzingen am 17.05.1988 (3 F 10/87) die Alleinsorge für etwa zweijährige Zwillinge und eine weitere damals etwa 7 jährige Tochter einem Elternteil, der Mutter, zuwies, die letzlich dazu nicht in der Lage war. Nach Darstellung des Vaters habe es die Mutter aber,,verstanden, seine Versuche, im Kontakt mit den Kindern zu bleiben, zu erschweren oder unmöglich zu machen." Solche Fälle sind uns leider bis zum Überdruss bekannt, selbst wenn der Ausgang nicht immer so katastrophal sein sollte. Nicht typisch dagegen, sondern eher bizarr erscheint an dem Fall allerdings, dass der Vater schon kaum mehr als 3 Wochen nach seinem Antrag auf Alleinsorge, der mit Einverständnis der Mutter und der jetz fast 17 jährigen ältesten Tochter gestellt wurde, und drei Tage nachdem ihm diese für diese Tochter auch zugesprochen wurde, diese Entscheidung wieder rückgängig machen wollte.

Bevor wir einige weitere Einzelheiten aus der Entscheidung zitieren, möchten wir darauf hinweisen, dass das neue Kindschaftrecht auch beim Umgang nicht mehr nur feststellt (wie §1634 BGB a.F.), dass der Elternteil, dem die Personensorge nicht zusteht, die Befugnis zum persönlichen Umgang mit dem Kinde behält. Vielmehr heißt es jetzt nach § 1684 Abs. 1 BGB n. F ,,Das Kind hat das Recht auf Umgang mit jedem Elternteil; jeder Elternteil ist zum Umgang mit dem Kind verpflichtet und berechtigt." Entscheidungen, die diese bemerkenswerte und wichtige Festellung der Rechte des Kindes auf Umgang und der Pflicht der Eltern zum Umgang klar feststellen und auch tatsächlich durchsetzen wären besonders wichtig, wie auch viele Zuschriften an uns zeigen.

Aus der Begründung (Quelle: Redaktion Deutsche Rechtsprechung, Verlag Recht und Praxis, Kissing. Im Internet, auch von uns, angegebene URLs funktionieren nicht mehr. Die vollständige Entscheidung oder detailliertere Zusammenfassungen sollten aber unter Angabe der Aktenzeichen von Gerichten oder Datenbanken, allerdings kostenpflichtig, erhältlich sein.)

Die Mutter kam im Laufe der Jahre immer weniger mit ihrer älteren Tochter zurecht. Seit ca. 1996 stand sie wegen der erheblichen Erziehungsschwierigkeiten mit dem Jugendamt des Landratsamts Rhein-Neckar-Kreis, W in Kontakt. An Gesprächen mit dem Jugendamt und der Erziehungsberatung hat N., die teilweise ihrer Schulpflicht nicht nachkam, nicht teilgenommen. Nach Angaben ihrer Mutter randaliere N. in ihrem Zimmer, wenn sie sich nicht durchsetzen könne. Sie habe auch schon Schränke und Türen aufgebrochen, um sich am Eigentum anderer zu vergreifen. Zu ihrem Vater habe sie ständig Kontakt.

Auf dessen schriftlichen Antrag vom 02.07.1998 und die schriftliche Zustimmung der Mutter vom 11.07.1998 sowie das schriftliche Einverständnis von N. hat das Familiengericht nach Anhörung des Jugendamts- wegen der von den Parteien dargelegten Dringlichkeit - ohne mündliche Verhandlung mit Beschluß vom 24.07.1998 (2 F 368/98) in Abänderung des Urteils des Familiengerichts Schwetzingen vom 15.05.1988 (3 F 10/87) die elterliche Sorge für N. auf deren Vater übertragen.

Hiergegen wendet sich dieser mit seiner am 31.07.1998 beim Familiengericht eingelegten, am 06.08.1998 beim Oberlandesgericht eingegangenen Beschwerde. Bereits vor Zugang der amtsgerichtlichen Entscheidung hatte er mit Schreiben vom 27.07.1998 gebeten, das Abänderungsverfahren ruhen zu lassen. N. habe nicht ständigen Kontakt zu ihm gehabt. Vielmehr habe es seine geschiedene Ehefrau seit der Trennung verstanden, seine Versuche, im Kontakt mit den Kindern zu bleiben, zu erschweren oder unmöglich zu machen. Zwischen N. und ihrer Mutter sei es zu wiederholten Handgreiflichkeiten gekommen- N. habe auch ihre Geschwister bedroht. Ihr Verhalten und ihre mangelhaften Leistungen in der Schule (inzwischen habe sie die Abschlußprüfung nicht bestanden) seien durch die fehlende Erziehung und Zuneigung der Mutter, die ihre Tochter in einem Heim unterbringen wolle, verursacht. Da sich die Provokationen und Aggressionen der Tochter inzwischen auch gegen ihn richten würden, sehe er sich derzeit nicht in der Lage, die elterliche Sorge für N., die sich seit Anfang August 1998 in seiner 1-Zimmer-Wohnung aufhalte, zu übernehmen.

Die Antragsgegnerin hat kein Verständnis für den Sinneswandel des Antragstellers, mit dem sie nach wie vor keine Gespräche führen könne.

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Zu Recht hat das Familiengericht in Abänderung seiner früheren Sorgerechtsentscheidung nunmehr das Sorgerecht über N. auf den Kindesvater übertragen. Das nach wie vor destruktive Verhältnis ihrer Eltern zueinander läßt zum Wohl des Kindes die Ausübung der gemeinsamen elterlichen Sorge, die § 1671 BGB (in der ab 01..07.1998 geltenden Fassung) grundsätzlich vorsieht, ebensowenig zu wie die Beibehaltung der alleinigen elterlichen Sorge der Kindesmutter, die zumindest derzeit keinen auch nur annähernd vernünftigen Kontakt zu ihrer Tochter mehr findet.

... Es sind triftige, das Kindeswohl nachhaltig berührende Gründe vorhanden, die nach der Erstentscheidung vom 15.05.1988 eingetreten sind und die die mit einer Änderung verbundenen Nachteile deutlich überwiegen. So ist die Antragsgegnerin nicht mehr in der Lage, erzieherisch auf N. einzuwirken. Anders als durch Übertragung der elterlichen Sorge auf den Vater kann die Gefahr nicht behoben werden, daß N. jeglichen Halt verliert und erheblichen Schaden in ihrer weiteren Persönlichkeitsentwicklung erleidet. Die erstinstanzliche Entscheidung entspricht dem ausdrücklichen Willen beider Elternteile und N., dem sich das Jugendamt angeschlossen hat.

Auch die Anhörung der Beteiligten vor dem Senat hat ergeben, daß das seelische Wohl von N. durch das (möglicherweise auch unverschuldete) Versagen der Eltern gefährdet ist. Da eine Heimunterbringung der fast 17 Jahre alten Jugendlichen oder ein betreutes Wohnen zumindest in Kürze nicht zu realisieren ist und voraussichtlich zunächst an ihrem Widerstand scheitern wird, kann der dargelegten Gefahr nur durch eine Übertragung der alleinigen elterlichen Sorge auf den Vater begegnet werden (§ 1666 Abs. 1 BGB).

Denn N. hat sich in ihrer Not dem Antragsteller zugewandt, der sie auch trotz seiner beengten Wohnverhältnisse aufgenommen hat. Er allein bietet ihr noch den Halt, den sie dringend benötigt, gerade weil sie sich inzwischen viel zu große Freiräume geschaffen hat. Im übrigen will der Vater nach eigenem Bekunden immer für seine Tochter dasein und würde sie nicht im Stich lassen, so daß die Alternative der Anordnung einer Pflegschaft nach Ansicht des Senats nicht dem Grundsatz der Verhältnismäßigkeit und des geringsten Eingriffs (§ 1666 a Abs. 1 und 2 BGB) entsprechen würde.

Insoweit unschädlich ist die Äußerung des Antragstellers im Beschwerdeverfahren, nicht mehr zur Übernahme der elterlichen Sorge bereit zu sein. Der Senat hat bereits in seiner zitierten Entscheidung vom 12.12.1997 (FamRZ 1998, 1046, 1047) darauf hingewiesen, daß das in § 1626 Abs. 1 Satz 1 BGB a.F. normierte elterliche Sorgerecht ausdrücklich auch die elterliche Pflicht umfaßt, für das minderjährige Kind zu sorgen, damit aber auch den Rechtsanspruch des Kindes auf Sorge beinhaltet, welcher ihm ab seiner Geburt zusteht und der erst mit der Vollendung des 18. Lebensjahres erlischt. In gleicher Weise fällt den Eltern automatisch mit der Geburt ihres ehelichen Kindes das Sorgerecht zu, dem sie sich nicht durch einseitige bloße Erklärung, die Sorge nicht mehr ausüben zu wollen, entziehen können. Der nicht mehr bestehende Wille eines Elternteils, das Sorgerecht ausüben zu wollen, ist daher für sich unbeachtlich.

Diese zum bisherigen Recht ergangene Entscheidung gilt verstärkt für das ab 01.07.1998 in Kraft getretene neue Kindschaftsrecht, wonach die bisherige Reihenfolge der Worte "das Recht und die Pflicht" umgekehrt ist in "die Pflicht und das Recht", § 1626 Abs. 1. S. 1 BGB n. F.. Damit wird hervorgehoben, daß es sich bei der elterlichen Sorge in erster Linie um eine Elternpflicht" handelt; auch soll der Tendenz entgegen gewirkt werden, den Begriff der elterlichen Sorge auf ein Sorgerecht zu verkürzen (Familienrechtsreformkommentar/Rogner, § 1626 BGB, Rn. 2; Mühlens/Kirchmeier/ Greßmann, Das neue Kindschaftsrecht, § 1626 BGB, Anmerkungen zu Absatz 1).

Dieser Elternverantwortung kann sich der Antragsteller nicht durch - zumindest auch finanziell motivierter - Rücknahme seines Sorgerechtsantrags entziehen, dessen es im übrigen für eine Abänderungsentscheidung nach § 1696 Abs. 1 BGB nicht bedarf.

Die Sorgerechtsregelung gegen den Willen des Sorgerechtsberechtigten ist zulässig. Das (ab 01.07.1998 geltende) neue Kindschaftsrecht kennt eine vergleichsweise Regelung in § 1671 BGB n.F., nach dessen Absatz 2 ein Antrag auf alleinige Sorgerechtsübertragung bei fehlender Zustimmung des anderen Elternteils dann zurückzuweisen ist, wenn dieser nach Ansicht des Familiengerichts die bessere Qualifikation für die Alleinsorge hat, aber seinerseits keinen Antrag auf Übertragung der alleinigen Sorge gestellt hat. Damit bleibt die gemeinsame Sorge gegen den Willen mindestens eines Elternteils aufrechterhalten (vgl. Johannsen/Henrich/Jaeger, Eherecht, 3. Aufl., § 1671, Rn. 43). Der Gesetzgeber hat es bei dieser als Defizit der Kindschaftsrechtsreform kritisierten (vgl. Deutscher Anwaltsverein, FamRZ 1996, 1401) Regelung belassen, so daß gegen die Zulässigkeit einer Übertragung der elterlichen Sorge auf einen insoweit widersprechenden Elternteil keine 6edenken bestehen, sofern eine solche Regelung dem Wohl des Kindes am besten entspricht (§ 1697 a BGB).

Diese Voraussetzung ist - wie dargelegt - zu bejahen, wobei der Kindesvater dann auch verpflichtet ist, die derzeitigen unzulänglichen Wohnverhältnisse zu verbessern (keineswegs ausgeschlossen erscheint dem Senat, daß der Vater kraft seiner Autorität - gegebenenfalls in Absprache mit dem Jugendamt - N. künftig in eine betreute Wohngemeinschaft unterbringen kann).

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Nachtrag: Wir können nun erstmals auch auf ein Urteil verweisen, dass die Umgangsverpflichtung bejaht: AG Hann. Münden, FamG, rkr. Urteil vom 07.03.2000

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