Information von Väter für Kinder e.V.:

VfK e. V. BUCHREZENSION:

Horst Petri

Das Drama der Vaterentbehrung

Chaos der Gefühle - Kräfte der Heilung

Herder /Spektrum
Herder Freiburg . Basel .Wien 1999
ISBN 3-451-26873-6

 

Wir haben schon im November 1999 auf dieses wichtige Buch hingewiesen. Obwohl bereits Rezensionen des Buches in der ZEIT Nr 42/1999 (,,Wie viel Vater braucht das Kind?" von Thomas Gesterkamp ) in der Basler Zeitung vom 19.11.1999 (Tilman Moser, ,,Vaterlosigkeit, Vaterverlust, Vaterabwesenheit") und der Süddeutschen Zeitung vom 18.12.1999 (Astrid von Friesen, ,,Nicht alles über unsere Mütter.Der Psychoanalytiker Horst Petri fordert Schluss mit dem Drama der Vaterentbehrung") erschienen sind, möchten wir aus unserer Sicht nochmals auf den Inhalt dieses sehr lesenswerten, gut lesbaren und einfühlsam geschriebenen Buches aufmerksam machen.

Inhalt

Einleitung
I. Die ,,Vaterlose Gesellschaft" - ein Phantom 15
II. Warum brauchen Kinder einen Vater? 23
1. Die Macht des inneren Vaterbildes 23
2. Die Entwicklung der Vater-Kind-Beziehung 30

Das Dreieck Mutter-Vater-Kind - Die Triangulierungsphase 30
Großer Vater - kleines Kind - Die erste ödipale Phase 33
Das Vatervorbild in der Pubertät - Die zweite ödipale Phase 39

III. Ein Vater kann auf verschiedene Weise verlorengehen 47
1. ,, Ich habe meinen Vater nie gekannt" - die Vaterlosigkeit 47
2. Der Vaterverlust zwischen früher Kindheit und Pubertät 54

Nur noch eine einzige Erinnerung - Vaterverlust in den ersten drei Lebensjahren 55
Zwischen Unterwerfung und Rebellion - Vaterverlust in der ersten ödipalen Phase. 59
,,Wer bin ich?" - Identitätskrise und Vaterverlust in der Pubertät 64

3. Warten auf das Wiedersehen - Formen der Vaterabwesenheit 69

IV. Wie die Umwelt die Bewältigung der Vaterentbehrung hemmen oder fördern kann . .81 .
1. Welche Rolle spielt die Veranlagung?  82
2. Das schwierige Los der Mütter           85
3. Geschwister - Bollwerk gegen Einsamkeit und Konkurrenten      96
4. Die Licht- und Schattenseiten von Stiefvätern. .               103
5. Ersatzväter helfen bei der Entwicklung der eigenen Identität            111
6. Verwandtschaft - ein Netz mit Löchern                                          120
7. Arm oder reich - ein großer Unterschied                                        125
8. Ohne Freunde geht es nicht                                                            129
9. Verwickelte Verhältnisse in Liebesbeziehungen und Partnerschaft    134

V. Die Folgen der Vaterentbehrung 149
1. Was ist einTrauma ? ...149
2. Seelische und soziale Auswirkungen 157

Die Entwicklung der Intelligenz 159
Gewissen und Moral .160
Das Gefühl für die eigene Weiblichkeit und Männlichkeit 162
Wie man sich in der Gesellschaft bewegt 163

3. Vom Trauma zur Kreativität 165
4. Die gesellschaftliche Dimension der Vaterentbehrung .174

Ein kritischer Blick auf das Spiel mit den Zahlen . . 174
Die Weitergabe des Traumas von Generation zu Generation 177

VI. Die Heilung des Traumas

1. Entwurf eines neuen Geschlechtervertrages . .

2. Allgemeine Rahmenbedingungen             185

Die Umstrukturierung der Arbeitswelt          193
Jedes Kind hat ein Recht auf beide Eltern - Das ,,Neue Kindschaftsrecht" 197
Mediation, Beratung, Therapie, Selbsthilfe.                             201

3. Erziehung, Bildung, Arbeit - wohin geht der Weg?  206

Persönlicher Abschluß      213
Anmerkungen                   217
Literatur 221

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Prof. Dr. med. Horst Petri ist Arzt für Neurologie und Psychiatrie sowie Kinder- und Jugendpsychiatrie. Er ist an der FU Berlin und als Psychoanalytiker in eigener Praxis tätig. Unter seinen zahlreichen Publikationen: Guter Vater -böser Vater. Psychologie der männlichen Identität (1997); Geschwister - Liebe und Rivalität. Die längste Beziehung des Lebens (1994); Verlassen und verlassen werden. Angst, Wut, Trauer und Neubeginn bei gescheiterten Beziehungen (1991).

Obwohl der Autor sich zur Psychoanalyse bekennt, wird man bei der Lektüre des Buches nicht von psychoanalytischen Jargon erschlagen, sondern erlangt an Hand von Beispielen aus seiner Praxis einen sehr guten Einblick in psychoanalytische Arbeit. Sie kann mit Freud sehr gut mit ,,ERINNERN, WIEDERHOLEN, DURCHARBEITEN!" beschrieben werden. (Kap. VI, Die Heilung des Traumas, S. 185). Der Titel des Buches müßte eigentlich ,, Das Trauma der Vaterentbehrung" heißen. Der Autor (oder Verlag) scheint aber selbst den aus der Medizin entlehnten und gut bekannten Begriff ,,Trauma" nicht vorauszusetzen, sondern erklärt in Kap. V.1 ausführlich die psychologische Bedeutung im Sinne einer durch äußere Einwirkung verursachten seelischen (statt körperlichen) Verletzung. Um eine solche handelt es sich bei der Vaterentbehrung, mit lang anhaltenden Folgen. Verdrängung führt da zu keiner Lösung, sondern nur die Mobilisation aller Kräfte um das Problem zu erkennen und dann zu bewältigen. Vaterentbehrung kann mannigfache Ursachen haben und wirkt sich je nach Alter des Kindes unterschiedlich aus. (Kap. III). Trennung und Scheidung sind nur einige der Ursachen.

Der Autor wendet sich als Wissenschaftler vielleicht zu Recht gegen das Schlagwort von der ,,Vaterlosen Gesellschaft" (Kap. I), scheint dabei aber zu übersehen, dass Polemik der Politik, die unsere gesellschaftlichen Rahmenbedingungen schafft, nicht selten weit näher liegt als Wissenschaftlichkeit. Dieser Eindruck, einer gewissen praktischen Naivität, entsteht auch bei den, angesichts der praktischen Erfahrungen bei der Umsetzung nach, etwas zu enthusiastischen Ausführungen über das ,,Neue Kindschaftsrecht", das ,,;Kinder- und Jugendhilfegesetz" und das in Deutschland zur Verfügung stehende,,flächenübergreifende Netz" aus öffentlicher und freier Jugendhilfe (Kap. VI.2, S 197 ff). Auf Seiten 199-200 wird ausgeführt:

Das ,,gemeinsame Sorgerecht", die praktische Regelung des ,,Umgangsrechts" und vor allem der ,,Umgangspflicht" sowohl für den getrennten Elternteil wie für die Kinder werden zunächst, wie wäre es anders zu erwarten, zu vermehrten Spannungen und Konflikten führen. Gesetze haben, vor aller konkreten Umsetzung, grundsätzlich ethischen Charakter. Sie sollen ethische Wertmaßstäbe zur Humanisierung zwischenmenschlicher Beziehungen schaffen. Auch das ,,Neue Kindschaftsrecht" wird Zeit brauchen, um sich mit diesem Gewicht gegen die Verwilderungen durchzusetzen, die unter dem Einfluß extremistischer Individualisierungsbedürfnisse und einer hedonistischen Gebrauchskultur derzeit weite Teile der Nachscheidungslandschaft beherrschen.

Im Zeichen dieser Verwilderung steht ein im deutschsprachigen Raum erst andiskutiertes Phänomen, das in Amerika bereits unter Strafe gestellt wird: das PAS. Das ,,parental alienation syndrom", wörtlich übersetzt, das ,,elterliche Entfremdungssyndrom" meint die verbreitete Tendenz alleinerziehender Elternteile, mehrheitlich von Müttern, ihre Kinder in einer Weise gegen den getrennt lebenden Partner zu indoktünieren - viele sprechen in diesem Zusammenhang von systematischer ,,Gehimwäsche" -, daß die Kinder von sich aus den Kontakt zu ihm abbrechen. Durch die Beeinflussung wird ihre Angst, auch den verbleibenden Elternteil durch Liebesverlust oder real zu verlieren, so groß, daß sie eine pathologische Loyalität zu ihm entwickeln und den getrennten Elternteil in ihrem Gefühlsleben abspalten. Die dabei eintretende Entfremdung wird in vielen Fällen zur Ursache des Kontaktabbruchs. Das inzwischen gut erforschte PAS macht deutlich, daß es nicht allein die Väter sind, die von sich aus die Flucht ergreifen; oft werden sie auch durch die gegen sie inszenierte Intrige in die Flucht getrieben.

Das ,,Neue Kindschaftsrecht" setzt diesen und ähnlich verbreiteten Formen der Verwilderung ethischer Grundsätze und des seelischen Mißbrauchs der Kinder eindeutige Grenzen. Da mit wird es zu einem entscheidenden Instrument, das Drama der Vaterentbehrung umzuschreiben. Das Gesetz allein, darüber sind sich alle Fachleute einig, kann dieses Ziel nicht ohne unterstützende und vorbeugende Maßnahmen durchsetzen. Aber es bildet den wichtigsten Bezugsrahmen für alle zur Verfügung stehenden Hilfsangebote. Gesetzlich wurden die Bedingungen dafür bereits in dem neuen ,,Kinder- und Jugendhilfegesetz" (KJHG) von 1993 geschaffen. Es enthält einen breiten Katalog von Maßnahmen, die Familien in Trennungs- und Scheidungssituationen bei Bedarf beraten und unterstützen sollen. Durch die enge Zusammenarbeit von öffentlicher und freier Jugendhilfe besteht heute in Deutschland ein flächenübergreifendes Netz von Einrichtungen, die für die Wahrnehmung dieser Aufgaben verantwortlich sind. Ob die Hilisangebote in Anspruch genommen werden, hängt in erster Linie von der Bereitschaft der Betroffenen selbst ab.

Die Herausforderung, die das ,,Neue Kindschaftsrecht" an die kooperative Bereitschaft getrennter Eltern stellt, wird langfristig, so ist zu hoffen, deren Motivation erhöhen und die Inanspruchnahme beratender und unterstützender Hilfen steigern. So werden das ,,Neue Kindschaftsrecht" und das neue ,,Kinder- und Jugendhilfegesetz" zu den beiden wichtigsten Stützpfeilern auf gesetzlicher Ebene, über die sich neue Brücken schlagen lassen, um dem Vaterverlust entgegenzuwirken.
 

Wir hoffen mit dem Autor, dass dem ,,Parental Alienation Syndrom" (PAS) und ,,ähnlich verbreiteten Formen der Verwilderung ethischer Grundsätze und des seelischen Mißbrauchs der Kinder eindeutige Grenzen"gesetzt werden, befürchten aber auf Grund der bisherigen Erfahrungen, dass dies nicht ohne weitere Maßnahmen zur praktischen Durchsetzung der schon vorhandenen positiven Ansätze im Kindschaftsrecht geschehen wird. Gerade bei PAS fehlt es fast definitionsgemäß an Einsicht und Kooperationsbereitschaft eines oder auch beider Elternteile. Die ,,Motivation erhöhen und die Inanspruchnahme beratender und unterstützender Hilfen steigern" wird also, wie anderswo schon längst erkannt, meist erfordern, dass Beratung verpflichtend ist und notfalls mögliche Sanktionen, wie Einsetzung einer Ergänzungspflegschaft zur Regelung des Umgangsrechts, andere Einschränkungen oder auch vollständiger Entzug des Sorgerechts, Geldbußen oder sogar Gefängnis wegen Mißachtung gerichtlicher Anordnungen auch tatsächlich durchgeführt werden. Warum warten und zulassen, dass Kinder soweit seelisch geschädigt werden, dass sie unter dem stetigen Leidensdruck als Erwachsene schließlich psychiatrische Hilfe in Anspruch nehmen müssen?

Das Buch zeigt in wirklich überzeugender Weise und sehr anschaulich auf welche zentrale Bedeutung einer Verbesserung der Kind - Elternbeziehung (hier zum Vater) für das Kind und letzlich für die Gesellschaft zukommt.

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Bericht über einen Vortrag von Horst Petri: ,,Aufwachsen ohne Vater.Das persönliche und gesellschaftliche Drama der Vaterentbehrung"

Zu den Folgen von Vaterentbehrung (durch Kriegseinwirkung) vgl. auch ,,Wenn der Vater fehlt. Epidemiologische Befunde zur Bedeutung früher Abwesenheit des Vaters für die psychische Gesundheit im späteren Leben" von Matthias Franz, Klaus Lieberz, Norbert Schmitz (Klinisches Institut für Psychosomatische Medizin und Psychotherapie der Heinrich-Heine-Universität Düsseldorf) und Heinz Schepank (Zentralinstitut für Seelische Gesundheit, Mannheim), 1999.

                                                                            

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