Die Idee an diesem Tag öffentlich auf das Problem der
Eltern-Kind-Entfremdung, hauptsächlich im
Gefolge einer Trennung/Scheidung der Eltern, aufmerksam zu machen
entstand aus der Anteilnahme von Savry
Evro aus Kanada (selbst geschiedene Mutter) am Problem das ihr neuer
Partner mit dem Kontakt zu den Kindern aus seiner früheren Ehe hatte.
(Eine Situation übrigens die sich auch regelmässig in Anfragen von
neuen Partnerinnen an unseren Verein widerspiegelt.) Ende 2005
entstand eine Webseite, um auf das Problem aufmerksam zu machen. Eine
andere Frau, Hazel Davis, hatte dann die Idee die
Öffentlichkeitswirksamkeit dadurch zu erhöhen, indem sie den Gouverneur
ihres Staates bat den 25. April offiziell zum Parental
Alienation Awareness Day
zu erklären. Heute gibt es eine Vielzahl solcher
offiziellen Deklarationen, entsprechend der Entstehungsgeschichte
vorwiegend in den Provinzen von Kanada und den Staaten der USA (wo der
April auch Child Abuse Awareness Month ist, und Parental Alienation ist
eine Form psychischer Kindesmisshandlung). Aber auch Organisationen in
vielen Staaten weltweit haben sich inzwischen dieser Initiative
angeschlossen, die von von der gemeinnützigen Parental Alienation
Awareness Organization (PAAO) koordiniert wird.
Aus
vielen Fallgeschichten wissen wir, dass es
für viele entfremdete Eltern eine große Erleichterung bedeutet wenn sie
erfahren, dass sie mit ihrem Problem nicht allein sind, und und dass
dieses Problem auch einen Namen hat der sich inzwischen weltweit
eingebürgert hat (Dum, 2013).
So
können sie dann ihre Erfahrungen in Selbsthilfe Gruppen austauschen
und hoffentlich auch professionelle Hilfe finden. Dazu kann ein
Parental Alienation Awareness Day, verstärkt auch durch offizielle
Deklarationen, sicher dienen. Allerdings um dieser Form psychischer
Kindesmisshandlung wirksam zu begegnen sind vor allem eine gezielte
und bessere Ausbildung der mit Trennung/Scheidung befassten
Professionen und letzlich auch gesetzliche Massnahmen nötig. Leider
werden diese nötigen Massnahmen durch heftige Kontroversen erheblich
erschwert, die gerade in Deutschland besonders absurde Formen annehmen.
Sie wurden leider nicht unerheblich durch den Psychiater Richard
Gardner
selbst verursacht, dem wir den Namen "Parental Alienation" verdanken,
oder eigentlich die Bezeichnung "Parental Alienation Syndrome" mit der
er seine klinischen Beobachtungen an Hand von 8 (oder auch 12)
typischen Symptomen zu einer diagnostizierbaren psychischen Erkrankung
(des Kindes) erheben wollte. Dafür fehlen aber ausreichend rigorose
empirische Grundlagen, sogar heute noch, was zu Recht kritisiert
wird. Ein weiterer Fehler bestand darin, dass Gardner zwar die
Rolle von Eltern als Verursacher der Ablehnung von Kontakten des Kindes
zum anderen Elternteil beschrieb, aber zumindest nicht deutlich genug
darauf hinwies, dass dies eine Frage des Einflusses oder der Macht ist,
die in erster Linie der Wohnelternteil besitzt. Zu seiner Zeit war
praktisch immer die Mutter der Wohnelternteil nach einer
Trennung/Scheidung, weshalb sich Frauen durch seine Darstellung
besonders angegriffen fühlten, eine Kontroverse die durch feministische
Organisationen bis heute weiter geschürt wird, obwohl auch diesen
allmählich klar werden müsste, dass mit der heutigen Verteilung des
Aufenthaltbestimmungsrechts auch immer mehr Mütter von Ausgrenzung
betroffen sind, was zeigt dass es nicht eine Frage des Geschlechts ist,
sondern der Einflussmöglichkeit auf das Kind. Mütter sind sogar häufig
mehr betroffen, weil ja immer noch die Meinung eine Rolle spielt, dass
zumindest jüngere Kinder nach einer Trennung der Eltern "normalerweise"
zur Mutter "gehören" (in islamischen Staaten sogar noch per Gesetz, wie
vor Jahrzehnten effektiv auch noch in westlichen Staaten nach der
sogenannnten
"tender years doctrin").
Vgl. dazu die empirische Untersuchung von Kruk
(2010),
sowie seine neuere Untersuchung, die die Situation von "Besuchseltern"
beiderlei Geschlechts vergleicht, Kruk
(2015).
Heute wird
meist nur noch von
"Parental Alienation" (PA statt PAS) gesprochen, teilweise in der
Hoffnung so wenigstens einen Teil der Kontroversen zu vermeiden.
Darnall traf aber schon 1997 die
Unterscheidung
zwischen "Parental
Alienation (PA) als dem Akt der Entfremdung (durch einen
Elternteil) und "Parental Alienation Syndrome" (PAS) für das was er im
Kind auslösen kann. Diese Unterscheidung, die auch PAAO macht, und das
weit deutlicher als dies vielfach der Fall ist, ist auch sachlich
wichtig,
weil nur ersteres (PA), das Verhalten eines entfremdenden Elternteils
Gegenstand familienrechtlicher Verfahren sein kann. Dass PA
psychische Kindesmisshandlung ist und damit die Mission einer
Intervention Kinderschutz sein sollte, macht die dafür auch
verwendete Bezeichnung "Hostile
Agressive
Parenting (HAP)" und
ein zugehöriger sehr umfangreicher elterlicher (Miss-)
Verhaltenskatalog vielleicht noch
deutlicher. An der Universität Tübingen ist darauf basierend das
Projekt KiMiss (P.
Dürr et al.) entstanden, das zunächt mit einer
Befragung einer großen Zahl von Ausgrenzung betroffener Eltern deutlich
machte, wie gravierend das Problem auch in Deutschland ist, um dann
daraus auch wissenschaftliche Methoden zu einer
Quantifizierung der Kindeswohlgefährdung abzuleiten (Duerr
et
al, 2015).
Es ist
allgemein anerkannt,
so dass es hier keines Zitats bedarf, dass die Folgen einer Trennung
der Eltern dann am geringsten sind, wenn dem Kind weiterhin ein
konfliktfreier und möglichst gleichwertiger Zugang zu beiden Eltern
ermöglicht wird. Aus der Scheidungsforschung ist auch schon lange
bekannt, dass aus der Scheidung resultierende Probleme auf die nächste
Generation übertragen werden können (Amato,
1996).
Bei der Befragung in der KiMiss Studie von Eltern die
einen
Kontaktabbruch zu ihren Kindern erfahren haben zeigt sich das aber in
geradezu erschreckender Weise. 48%
bejahen die Frage (FC01) "Der
[andere,
entfremdende, Wohn-] Elternteil ist als Kind selbst in
einem Zuhause aufgewachsen, in dem es sexuell, körperlich oder
emotional missbraucht wurde". Dieser Transgenerationseffekt
macht die
Prevention solcher Probleme noch weit dringlicher.
Es ist deshalb wenig hilfreich, wie es in Deutschland
immer
noch
geschieht, wenn die Bezeichnung PA/PAS hier derzeit praktisch mit einem
fachlichen Tabu belegt ist (Weychardt,
2007),
so als ob es das spezielle Problem gar
nicht gäbe, oder aus falsch verstandener
Parteilichkeit die Existenz des Phänomens strikt bestritten und
seine Erwähnung verteufelt wird, und schon früher
durch eine Umdeutung von "PAS" als "Parental Accusation Syndrome" oder
als "alter Wein in neuen Schläuchen" ins Lächerliche gezogen wurde.
Natürlich hat Gardner das Problem nicht erfunden oder auch nur als
erster entdeckt. Eine klare Beschreibung gab es sogar in der deutschen
klassischen Literatur (Effi Briest von Theodor Fontane), schon zu
Zeiten in denen die "Elterliche Gewalt" noch allein dem Manne
zustand, und von den detaillierten und exzellenten fachlichen
Beschreibungen seien nur die des etwas exzentrischen Wiener
Psychoanalytikers
Wilhem Reich als "Emotionelle Pest" (1945) und die der berühmten
Scheidungsforscherin Wallerstein als "Medea Syndrome" (1989) erwähnt,
die sich
aber anders als "Parental Alienation" nicht durchgesetzt haben, und
letztere auch nicht einmal einen Sturm der Entrüstung wegen angeblichem
"Sexismus" ausgelöst hat, wie bei Gardner, gegenüber dem auch häufig
nicht einmal vor ad hominem Attacken zurückgeschreckt wurde. Es
besteht
auch nicht der
geringste Anlass um mit "Endgültiges Aus für das Parental Alienation
Syndrome" zu triumphieren, nur weil die amerikanische psychiatrische
Gesellschaft diese Bezeichnung nicht in ihren neuen Katalog DSM-V
psychiatrischer Erkrankungen (engl. "disorders") aufgenommen hat.
Abgesehen von der Erhöhung der Aufmerksamkeit den die bloße Erwähnung
der so weit verbreiteten Bezeichnung "Parental Alienation" in einer der
Beschreibungen gehabt hätte, kann man nach dem hier gesagtem sogar froh
darüber sein, weil mit DSM-V neue und allgemein anerkannte
Diagnosekategorien eingeführt wurden, die weit genauer auch auf die
besondere Situation bei Eltern-Kind-Entfremdung zutreffen als frühere
Kategorisierungen, ohne die teilweise sogar noch berechtigten
Kontroversen, die die Aufnahme einer eigenen PA Diagnose derzeit sicher
ausgelöst hätte. Empirishe Forschung ist am
wirksamsten um
solche Kontroversen zu beenden. Die Existenz des Phänomen der
Eltern-Kind-Entfremdung selbst in Frage stellen verbietet sich aber
auch ohne detaillierte wissenschaftliche Analyse eigentlich allein
schon auf Grund inzwischen schon sehr zahlreicher, dramatischer und
weitgehend übereinstimmender Erlebnisberichte
davon betroffener Eltern (Väter und Mütter) und vermehrt auch späteren
Berichten einst betroffener Kinder, sowie durch zahlreiche
Gerichtsakten die es deutlich machen, selbst wenn sie "Parental
Alienation" nicht benennen sollten. Ausgehend davon, kann und soll
selbstverstädlich eine wissenschaftliche Diskussion stattfinden wie PA
zu interpretieren ist und was der beste Umgang damit ist.
Zusätzlich gibt es gegenüber Gardners Zeiten auch schon eine
stattliche Anzahl empirischer Untersuchungen, trotz der Schwierigkeit,
dass man hierfür nicht so einfach Probanden aus der allgemeinen
Bevölkerung finden kann, außer für eine Kontrollgruppe. Aber diese
Forschung
wird von den PA Kritikern (die engl. Bezeichnung "detractor" ist da
genauer) wie es scheint bewusst nicht wahrgenommen.
Da die Einschaltung der Gerichte zumindest in schweren
Fällen
unumgäglich ist, um den Einfluss hartnäckig entfremdender
Elternterile abzuwenden, zumindest bis die Beziehung des Kindes zum
anderen Elternteil wieder ausreichend gefestigt ist, ist es wichtig zu
wissen inwieweit "Parental Alienation" auch juristisch anerkannt wird
und welche Rahmenbedingungen dafür durch die Politik für die Gerichte
geschaffen wurden. Für Europa interessierte bei dieser Untersuchung in (Dum, 2013) insbesondere die Frage
inwieweit unser höchstes internationales Gericht, der Europäische
Gerichtshof für Menschenrechte (EGMR) PA anerkennt. Dabei ist es
wichtig zu beachten, dass der EGMR keine eigenen Ermittlungen anstellt,
oder psychologische Gutachten beauftragt, sondern allein an Hand der
Aktenlage und von ergänzenden
Stellungnahmen dazu entscheidet. Als anerkannte PA Fälle wurden
daher nur die aufgenommen, in denen der EGMR sich selbst der
Bezeichnung "Parental Alienation" bei der Beschreibung und Beurteilung
der Handhabung durch die nationalen Gerichte bediente und nicht
die weit zahlreicheren in denen PA Argumente bloß in der Eingabe des
sich beschwerenden Elternteils enthalten waren. Insgesamt zeigen sich
bezüglich der juristischen Anerkennung von PA deutliche Unterschiede
zwischen einzelnen Staaten, die mit dem Grad der Informiertheit
darüber zusammenhängen müssen, weil kaum anzunehmen ist, dass allein
menschliches Verhalten solche Unterscheide aufweist.
Zum Abschluss sei noch bemerkt, dass gerade in Deutschland mehr sachliche Information über das PA Phänomenen bitter nötig wäre, weil nach meiner Kenntnis z. B. seit Anfang 2014 weltweit um die 100 einschlägige wissenschaftliche Publikationen erschienen sind, als Fachbücher oder als Artikel in anerkannten Fachzeitschriften, die anders als in Deutschland vielfach üblich, überwiegend jede Arbeit vor einer möglichen Publikation einer strengen Überprüfung durch dafür speziell als kompetent international anerkannte Fachleute unterziehen. Aufsätze ohne diesen "peer review" werden in der größten psychologischen Datenbank, die der Amerikanischen Psychologischen Gesellschaft (APA), erst gar nicht berücksichtigt. Unter diesen Publikationen ist aber keine einzige die in Deutschland erschien, auch nicht ohne den qualitätsfördernden "peer review", was die uns bekannt gewordene Behauptung (aus 2011, aber da war die Situation nicht anders: etwa 100 Publikationen mit Bezug auf PA, aber keine aus Deutschland) einer Organisation alleinerziehender Eltern, die auf eine Anfrage/Beschwerde von Eltern hin, man mag es kaum glauben, sogar aus einem Bundesministerium wiederholt wurde, Lügen straft, nämlich:
Schön wäre es, wenn es für eine solche, aber dann sachliche und möglichst auf empirische Ergebnisse Bezug nehmende Diskussion wenigstens die Aussicht auf ein breit gefächertes deutsches Fachbuch/Handbuch zum Einstieg gäbe das sowohl die psychologischen als auch die juristischen Aspekte darstellt, ähnlich dem amerikanischen Handbook (Lorandos, Bernet, & Sauber, 2013) und einem in Frankreich gerade erschienenem Fachbuch mit Beiträgen anerkannter frankophoner Fachleute (Broca & Odinetz, 2016). Aber dafür besteht derzeit kaum Hoffnung, wenn nicht eine breit gefächerte Informationskampagne einen Umschwung bringt. Auch dabei könnte die Abhaltung eines Parental Awareness Days hilfreich sein.