verantwortlich i. S. d. P.: Dr. A. Schneider / Vorsitzender
Ausgehend von dem Fakt, daß die "Einelternfamilie" oder die Partnerschaft auf Zeit die traditionelle Familienform aus Vater, Mutter und Kind(ern) zunehmend ablöst, stellt die Autorin die Frage, welche Bedeutung und Konsequenzen das Fehlen des Vaters für die Entwicklung der Kinder in der verbliebenen "Restfamilie" hat. Dabei beschreibt sie das Erleben der Kinder einfühlsam, psychologisch fundiert und auch für den Laien verständlich.
Das Buch gliedert sich in drei große Abschnitte. Im ersten weist sie nach, wie sich die Vaterrolle aus der Antike herleitet. Ausgangspunkt ist der Vater als "Herrscher über Leben und Tod" im Patriarchat der Griechen und Römer, der sein Kind zuerst "nennen" und damit annehmen mußte, damit es ein Recht auf Leben bekam. Ein solcher Vater baute die Beziehungen zu seinen Familienmitgliedern auf der Basis eindeutiger Rollenzuweisung und Machtstrukturen auf. Erste Formen der Aufweichung dieser totalitären Herrschaftsbefugnisse entwickelten sich durch das Christentum. Über die eher geistige Herrschaft des christlichen Vaters, der die Legitimation seiner Macht und Vaterschaft aus der Kraft der christlichen Lehre ableitete, vollzog sich fließend die Wende bis hin zum heutigen Vater, der nicht mehr sein Kind "annehmen" kann, sondern seinerseits von der Mutter desselben angenommen werden muß, um überhaupt erst Vater sein zu können. Diese Wende, so weist die Autorin schlüssig nach, basiert auf dem Unterschied zwischen Mann und Frau, der aus der christlichen Lehre abgeleitet wird. Hier wird dem Mann das Reich des Denkens und des Verstandes zugeordnet und der Frau das Reich der Materie, der Sinne und der Fleischlichkeit.
Im zweiten Teil beschreibt die Autorin, wie die Frau über die Jahrhunderte hinweg durch diese Zuständigkeit für ihr Reich zur einzigen und lebenswichtigen Bezugsperson ihrer Kinder wird. Da nur sie für Körperlichkeit zuständig sein kann, kann auch nur sie über den Körperkontakt zu ihren Kindern bereits in deren frühester Lebens- und Entwicklungsgeschichte zur zentralen, konkurrenzlosen Größe werden. Kinderaufzucht, emotionale Nähe und Bindung schlechthin werden zur traditionellen Frauensache.
Für die Väter des 20. Jahrhunderts, die an einer liebevollen Bindung an ihre Kinder interessiert sind, findet sich aus dieser Tradition heraus weder bei Freud noch bei anderen überhaupt ein Begriff für das, was sie wollen. Die Bindung an die Mutter wird umfänglich beschrieben als "Urbindung" und "symbiotische Beziehung", in die der Vater nur als Eindringling einen Blick werfen kann.
Es gibt den Begriff "bemuttern", aber nicht den des "Bevaterns". Für die Rolle des Vaters gibt es schlicht kein Vorbild, und die wenigen Männer, die trotzdem von der Möglichkeit des Erziehungsurlaubs Gebrauch machen, erscheinen als solche, die, ibre Männlichkeit mißachtend, in ihrer Bindung an ihr Kind zur "Quasi- Frau" mutieren. Ebenso wie in der geistigen Realität des Mannes - und der Frau - keine adäquaten Rollenangebote für das "Vater- Sein" vorhanden sind, gibt es auch kaum geeignete institutionelle und rechtliche Voraussetzungen dafür, daß Männer heute aus eigener Macht heraus Väter sein können, wenn es die Mütter nicht wollen. Im Falle der Scheidung einer Ehe, die immerhin den "Schutz durch die Gesellschaft" formal besitzt, wird fatalerweise nicht nur die Ehe, sondern die ganze Familie geschieden. Tradition und Recht weisen dabei der Frau die Kinder und dem Mann den Unterhalt zu, für letzteres war er ja auch während der Ehe- bzw "Familien- " zeit zuständig.
Im dritten Teil des Buches geht die Autorin der Frage nach, welche Konsequenzen sich daraus für die "geschiedenen" Kinder, die ungefragt ohne Väter aufwachsen müssen, ergeben. Die Ergebnisse dieser Uberlegungen sind für die betroffenen Kinder wie für die Gesellschaft, in die sie hineinwachsen, derart alarmierend, daß sie daraus ein dringliches "Plädoyer für Väter" ableitet. Der "verhinderte Vater" reißt in die verbleibende Restfamilie eine fatale Lücke, die die Mutter nicht füllen kann, denn sie wird im Gegenteil durch das Fehlen einer zweiten Bezugsperson für die Kinder in ihrer Rolle überfordert und damit geschwächt. Die Konsequenzen für die Kinder sind vielschichtig und werden von Christiane Olivier wie folgt erläutert:
1. Die Mutter nimmt in der "Ein- Eltern- Familie" die Rolle einer "Vatermutter" ein. Der fehlende Vater wird verleugnet, die Mutter versucht, ihn zu ersetzen, und die Bindung zwischen ihr und den Kindern steigert sich in eine wechselseitige AbhängigLeit. Die Mutter, ausschließlich auf die Beziehung zum Kind reduziert, kann dieses nicht mehr "loslassen" und verhindert damit dessen Entwicklung. Das Kind erlebt in dieser Umklammerung zu wenig Raum, um sich abzugrenzen, "es selbst" werden und seelisch wachsen zu können.
2. Die Mutter erlaubt dem Kind kein positives Vaterbild. Das Kind, das sich ebenso als Teil seines Vaters wie als Teil seiner Mutter sieht und fühlt, lehnt aus Loyalität zur Mutter seinen Vater ebenso ab, wie die Mutter dies tut. Gleichzeitig lehnt es damit seinen eigenen "väterlichen" Anteil, also sich zum halben Teil selbst ab. Kinder können auf dieser Basis kein positives Selbstbild, kein Selbstvertrauen und keine Bindungsfähigkeit entwickeln. Das bezahlen sie mit einem immensen psychischen Leidensdruck, der lebenslang anhält
3 Die Mutter bietet dem Sohn weder die Möglichkeit, sich rnit ihr zu identifizieren - schließlich ist sie kein Mann - , noch die Chance, sich aus seiner ödipalen Bindung an sie zu emanzipieren. Söhne alleinerziehender Mütter leben statt mit einem männlichen Vorbild mit einem Vakuum, das sie nur mit dem Negativen, dem Nicht- Weiblichen, aber nicht mit der Vorstellung einer konkreten, positiven Männlickeit füllen können. Ungezügelte Aggressivität und DestruLtivität wird gerade bei männlichen Jugendlichen zunehmend beobachtet. Der überwiegende Prozentsatz von ihnen mußte ohne Väter aufwachsen
Was nun bleibt angesichts dieser Probleme zu tun? Christiane Olivier plädiert für ein "Mehr" an Vater; für Väter, die sich, besonders in den ersten 5 Lebensjahren des Kindes, um eine enge, über den Körperkontakt mit dem Säugling beginnende Bindung an ihre Kinder bemühen; für Politiker, die nicht nur die Mutterschaft, sondern ebenso die Vaterschaft als primäre Vorausetzung für das körperliche wie seelische Überleben des Kindes anerkennen; für Institutionen, die eine veränderte Rollenverteilung zwischen den Eltern bei der Kindererziehung unterstützen, und nicht zuletzt für eine veränderte Rechtsprechung, die die Männer aus dem Dunstkreis der von der Macht der Mutter abhängigen "Nennväter" zum gleichberechtigten Elternteil erhebt. Damit wäre dann die Frage von Elternschaft und Erziehung keine Machtfrage mehr, sondern eine Frage elterlicher Verantwortung.
Iris Peters