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Langzeitfolgen von Trennung/Scheidung

"No variables have more far-reaching effects on personality development than a child's experiences within the family. Starting during his first months in his relation to both parents, he builds up working models of how attachment figures are likely to behave towards him in any of a variety of situations, and on all those models are based all his expectations, and therefore all his plans, for the rest of his life." (John Bowlby, Attachment and Loss (1973, p.369))

übersetzt etwa:

,,Keine Variablen haben mehr weit reichenden Einfluss auf die Persönlichkeitsentwicklung als die Erfahrungen eines Kindes innerhalb der Familie. Angefangen von den ersten Monaten seiner Beziehung zu beiden Eltern entwickelt es ein Arbeitsmodell wie Bezugspersonen sich aller Voraussicht nach gegenüber ihm in allen möglichen Situationen verhalten werden; und auf diesen Modellen beruhen all seine Erwartungen und daher all seine Pläne, für den Rest seines Lebens."

John Bowlby (1907-1990) ist der wohl berühmteste Pioneer der psychologische Bindungsforschung (attachment theory). Es ist vielleicht nicht uninteressant anzumerken, dass John Bowlby eine eher distanzierte Beziehung zu seiner Mutter hatte, der Vater als berühmter Chirurg beruflich stark engagiert war und er, den Traditionen seiner britischen Gesellschaftsschicht entsprechend, zunächst von Angestellten betreut wurde, aber seine engste Bezugsperson, das Kindermädchen, mit 3 Jahren verlor und dann sehr früh in ein Internat kam. Möglicherweise hat ihn diese persönliche Erfahrung zunächst zum Studium der Mutter-Kind-Bindung angeregt. Seine frühen Theorien von der besonderen, ja fast auschließlichen Wichtigkeit der Beziehung des Kleinkindes zur Mutter waren zwar kontrovers, aber einflussreich, und das vermutlich, gerade was die Zuordnung des Kindes bei Trennung/Scheidung betrifft, auch noch heute, obwohl die sog. tender years doctrin (Kleinkind gehört zur Mutter) und auch die primary caretaker theory (Bevorzugung der Hauptbezugsperson, d.h. meist Mutter) durch das Gebot vom ,, best interest of the child" (Kindeswohl) in der Gesetzgebung abgelöst wurde.  

Ein früher Kritiker der Theorien von Bowlby war einer der Pioneere der modernen Kinderpsychiatrie, Sir Michael Rutter (geb. 1933), der auf die genau so wichtige Rolle von Vätern selbst bei Kleinkindern und die Komplexität einer Trennung hinwies: "Maternal Deprivation Reassessed" (1972).  Seither hat die psychologische Bindungsforschung eine erhebliche Entwicklung genommen, unter voller Einbeziehung der Triade Kind-Mutter-Vater, die sich schon in einer frühen Entwicklungsphase bildet. Aus der Fülle der Literatur können wir hier nur ein umfassendes aktuelles Werk zitieren: Karin Grossmann /  Klaus E. Grossmann,  Bindungen - das Gefüge psychischer Sicherheit, 2te Auflage, 672 Seiten (!), Klett-Cotta Verlag, 2005. Die Autoren haben u.a. fast 100 Kinder über mehr als 20 Jahre von der Geburt an wissenschaftlich begleitet und gehen detailliert auf die Rolle beider Elternteile, auch auf deren Unterschiede, in der Entwicklung eines Kindes ein. Eine umfassende Darstellung speziell der Rolle des Vaters findet man z. B. in Michael E. Lamb (Hrsg.), The Role of the Father in Child Development, Third Edition, 416 Seiten, Wiley, New York, 1997.  Eine deutsche, empirisch-statistische Studie, die die dramatischen Langzeitauswirkungen eines sehr frühen Vaterverlustes (durch Kriegsereignisse) nachweist, hatten wir ebenfalls schon ausführlich dargestellt:
Franz et al. (1999), "Wenn der Vater fehlt. Epidemiologische Befunde zur Bedeutung früher Abwesenheit des Vaters für die psychische Gesundheit im späteren Leben". Diese Studien wurden ausgedehnt auf die Vaterlosigkeit in unserer heutigen Gesellschaft, in sog. "Eineltern-Familien", aber dem Fehlen männlicher Vorbilder in Kindergärten, Schulen etc.:
Prof. Dr. Matthias Franz: Der vaterlose Mann. Vortrag SWR Teleakademie 06.06.2010 (45 min), Download mp4 Video in dem die dramatischen Folgen mittels statistischer Studien aufgezeigt werden.  


Bei Trennung oder Scheidung, besonders wenn sie konfliktreich ist, wird dem aktuellen Prozess meist sehr viel Aufmerksamkeit gewidmet. Natürlich ist es wichtig, um bleibenden Schaden möglichst gering zu halten, dass dieser Prozess, ähnlich wie eine gute Versorgung nach einem Unfall, möglichst sachgerecht, rasch und schonend abläuft, vor allem dann, wenn daran Kinder beteiligt sind. Während die Erwachsenen dann die finanziellen und psychischen Probleme nach einiger Zeit, insbesondere auch durch Eingehen neuer Partnerschaften meist weitgehend überwinden können, ist die Situation der betroffenen Kinder, auch auf lange Sicht hin, meist schwieriger und sollte deshalb mehr Aufmerksamkeit erhalten. Über ein wesentlich erhöhtes Risiko von "Scheidungskindern" (hier natürlich von der Trennung nicht miteinander verheirateter Eltern betroffene Kinder eingeschlossen) für eine Vielzahl von Problemen, wie psychische Störungen, Schulversagen, Drogenabhängigkeit, Kriminalität, und Schwierigkeiten mit Beziehungen, wurden bereits so oft Zahlen wiederholt genannt, dass es schwierig geworden ist, dafür noch wirklich verlässliche, originäre, wissenschaftliche Quellen anzugeben. Es gibt auch 
deutliche Hinweise auf einen Transgenerationeneffekt, wonach Beziehungsprobleme nicht selten von den Eltern an die Kinder quasi "vererbt" werden [vgl. dazu  z. B. Gordon, 1998, über den Medea Complex, mit einem Fall von Parental Alienation über 3 Generationen]. Die Frage nach den Langzeitfolgen einer Trennung/Scheidung für die Kinder und wie sie möglichst gering gehalten werden können ist daher für Eltern, die vor einer Trennung stehen und insgesamt für die Gesellschaft von erheblicher Bedeutung, auch wenn aus den meisten "Scheidungskindern" nicht nur unaufällige, sondern durchaus erfolgreiche und glückliche Erwachsene werden.

Eine vielfach verbreitete Meinung scheint es auch zu sein, dass eine möglichst konfliktarme Trennung der Eltern, mit fortgesetztem Zugang des Kindes zu beiden Elternteilen die Langzeitfolgen erheblich veringert, wenn nicht ganz ausschaltet. Das jedenfalls letzteres nicht der Fall ist, hat die 
klinische Langzeitstudie von Judith Wallerstein, Julia M. Lewis, and Sandra Blakeslee, The unexpected Legacy of Divorce. The 25 Year Landmark Study (2000), Deutsch: Scheidungsfolgen - Die Kinder tragen die Last, deutlich gezeigt.  Das ist die Kernaussage ihrer Studie und des Bucheswie Frau Wallerstein in Interviews noch mehrmals deutlich machte (und nicht das was daraus in Deutschland zum Teil gemacht wurde). Völlig damit übereinmstimmend (sogar mit einem Vorwort von J. Wallerstein im Buch)  auch die Untersuchung von  Elizabeth MarquardtBetween Two Worlds. The Inner Lives of Children of Divorce. Based on a pioneering new national study (2005, Deutsch: ,,Kind sein zwischen zwei Welten. Was im Inneren von Kindern geschiedener Eltern vorgeht". 2007) mit Befragung von 1500, inzwischen erwachsenen "Scheidungskindern" (größtenteils mit Collegeabschluss und beruflich erfolgreich). Diese Arbeiten haben mit dem Mythos einer "guten" Scheidung, die ohne nennenswerte Folgen für die betroffenen Kinder sein soll, ziemlich gründlich aufgeräumt (vgl. unsere Rezensionen dieser Bücher).

Eine Metaanalyse einer Vielzahl von Studien zeigt, dass Kinder aus geschiedenen  Ehen signifikant niedrigere Werte bei Schulerfolg, Selbst-Konzept und sozialen Beziehungen erzielen:

   Amato, Paul R., Children of divorce in the 1990s: An update of the Amato and Keith (1991) meta-analysis. Journal of Family Psychology. 2001 Sep Vol 15(3) 355-370.  Abstract.
Langzeitfolgen einer Scheidung auf Schulerfolg und die Eltern-Kind-Beziehung (ganz besonders auf die Beziehung zum Vater), sowie andauernde psychische Probleme werden in der Untersuchung von
Zill, Nicholas; Morrison, Donna R.; Coiro, Mary J.., Long-term effects of parental divorce on parent-child relationships, adjustment, and achievement in young adulthood. Journal of Family Psychology. 1993 Jun Vol 7(1) 91-103. Abstract 

gefunden.

Lansford, Jennifer E.; Malone, Patrick S.; Castellino, Domini R.; Dodge, Kenneth A.; Pettit, Gregory S.; Bates, John E., Trajectories of Internalizing, Externalizing, and Grades for Children Who Have and Have Not Experienced Their Parents' Divorce or Separation. Journal of Family Psychology. 2006 Jun Vol 20(2) 292-301. Abstract
finden, dass sich eine Trennung / Scheidung bei jungen Kindern eher auf  Internalisierung / Externalisierung von psychischen Problemen auswirkt, während sie bei älteren Kindern verstärkt  eine Verschlechterung des Schulerfolgs bewirkt. 
Trennung / Scheidung  ist in jedem Fall ein sehr traumatisches  Ereignis im Leben eines Kindes, das erhebliche Risiken für seine weitere Entwicklung beinhaltet, möglicherweise sogar vergleichbar mit dem Tod eines Elternteils:
   Short, J.L. (2002). The effects of parental divorce during childhood on college students. Journal of Divorce & Remarriage, 38(1/2), 143-155.(Abstract) This study compared 87 college students who experienced parental divorce between the ages of 8 and 18 with 67 who experienced parental death at the same ages, and 87 whose parents have been continuously married. All participants were currently ages 18 to 28. Adult offspring of divorced parents reported significantly more current life stress, family conflict, and avoidant coping, and less supportive parenting (before divorce), family cohesion, and friend support than the other two comparison groups. Further, these variables were significantly related to children of divorced parents' greater reports of current antisocial behavior, anxiety, and depression than their peers. The results suggest that these variables are useful targets for preventive interventions for college students. Download Article.

Die Studie zeigt also, dass junge Erwachsene (zwischen 18-28, alle Studenten) aus geschiedenen Ehen (und die dann überwiegend bei der Mutter lebten) mehr psychische Probleme haben als solche die ihren Vater durch Tod verloren (vgl. zu letzteren auch Franz et al. (1999) für Kriegswaisen) hatten und erst recht als solche aus intakten Ehen. Nach der Qualität der Beziehung zum anderen Elternteil und nachehelichen Konflikten zwischen den Eltern wurde allerdings nicht unterschieden, Faktoren von denen man ebenfalls einen wesentlichen Einfluss erwarten würde:  

 Amato, Paul R.; Booth, Alan, The legacy of parents' marital discord: Consequences for children's marital quality. Journal of Personality and Social Psychology. 2001 Oct Vol 81(4) 627-638. Abstract.
  
Im Auftrag des kanadischen Justizministeriums entstand eine umfangreiche Literaturrecherche (bis etwa 1999) und Befragung von Experten zu ,,The Early Identification and Streaming of Cases of High Conflict Separation and  Divorce: A Review" by Ron Stewart. Es werden die Folgen von Hochkonflikt-Trennung/Scheidung für die Kinder untersucht und dementsprechend nach Wegen gesucht Hochkonfliktfälle möglichst frühzeitig zu identifizieren und geeignete Hilfemaßnahmen anzubieten. 

Die Erfahrung legt nahe, dass sich Risikofaktoren bei manchen Individuen weniger stark auswirken als bei anderen, sie also eine größere Widerstandskraft gegen solche negativen Einflüsse besotzen. Damit beschäftigt sich eine psychologische Forschungsrichtung, die sich ebenfalls stark entwickelt hat und die hier von Belang ist, die sogenannte Resilienzforschung (vermutlich eingedeutscht von resilience=Widerstandsfähigkeit). Sie beschäftigt sich speziell mit den Faktoren, die es Kindern ermöglichen schwierige Kindheitsverhältnisse und Risiken schließlich zu überwinden, oder eben nicht. Trennung / Scheidung der Eltern und deren Konflikte gehören zweifellos zu solchen Risikofaktoren. Neben Sir Michael Rutter (vgl. z. B. ,,The Promotion of Resilience in the Face of Adversity", in Families Count, Effects on Child and Adolescent Development, edited by Allison Clarke-Stewart & Judy Dunn , Cambridge University Press, 2006) gilt  Prof. Dr. Emmy E. Werner, Univ. Berkeley (geboren 1929 im Rheingau) als Pionierin der Resilienzforschung und wurde für ihre Arbeiten wiederholt ausgezeichnet und auf Kongressen geehrt, die ganz diesem Thema gewidmet waren (z. B. München 2001, Zürich 2005), oder wie in Frankfurt (April 2005) speziell dem Erleben und der Entwicklung von Kriegskindern. Motiviert wohl durch ihr eigenes Erleben des zweiten Weltkrieges in Deutschland entstand ein Buch, das auch auf Deutsch erschienen ist, unter dem Titel: Unschuldige Zeugen. Der Zweite Weltkrieg in den Augen von Kindern (Europa Verlag, Hamburg 2001).  Besonders berühmt  ist die sog. Kauai Längsschnittstudie (über 32 Jahre), die abschließend in dem Buch, Emmy E.Werner and Ruth  S. Smith, Overcoming the Odds. High Risk Children from Birth to Adulthood, Cornell University Press, Ithaca, N. Y.,1992, 280 Seiten, 28 Tabellen, 9 Figuren, beschrieben ist. Es wurde vor allem nach Faktoren gesucht und diese methodisch statistisch erfasst, welche es Risokokindern ermöglichen schließlich ihre Schwierigkeiten zu überwinden. Aus diesem Buch (Seiten 197-198) stammt das Zitat (in unserer Übersetzung): 

Unsere Untersuchungen zeigten jedoch eine unterschiedliche Verletzlichkeit von Jungen und Mädchen bezüglich gewisser stressreicher Lebenserfahrungen in der Kindheit und im Jugendlichenalter deren Auswirkungen sich in das Erwachsenenalter erstrecken. Jungen erscheinen verletzlicher gegenüber Trennung von - und Verlust von betreuenden Personen in der frühen und mittleren Kindheit; Mädchen erscheinen verletzlicher, wenn sie im Jugendlichenalter mit chronischen Konflikt und gestörten zwischenmenschlichen Beziehungen  konfrontiert werden. Obwohl die Auswirkungen von stressreichen Erfahrungen im Kindes - und Jugendlichenalter auf das Zurechtkommen im Erwachsenalter moderat sind und wesentlich durch Schutzmechanismen im Individuum und durch ein Unterstützungssystem abgeschwächst werden können, sollten wir uns der Tatsache bewusst sein, dass gewisse, häufig angetroffene Übergänge  im Familienleben amerikanischer Kinder, wie die Geburt von Geschwistern in kurzem Abstand und Scheidung, Wiederverheiratung der Eltern, Verletzungen erzeugen könne, die lange nachdem die Jugendlichen in das Erwachsenenalter eingetreten sind und selbst der Rolle von Ehepartner und Eltern gegenüberstehen, an die Oberfläche kommen.

Diese Verletzlichkeit war besonders deutlich ersichtlich bei denjenigen Männern und Frauen in unserer Untersuchung deren Ehe bis zum Alter von 32 Jahren [Anmerkung des Übersetzers: dem Ende der bislang im Buch dargestellten Untersuchung] in Scheidung endete. Unter den stärksten Stressfaktoren im Leben dieser jungen Erwachsenen (die sie von Geschlechtsgenossen unterschieden, die in diesem Alter stabile Beziehungen hatten) war die Erfahrung der Scheidung der Eltern und / oder deren Wiederverheiratung. Während es reichlich Untersuchungen über die unmittelbaren und kurzfristigen Folgen der Erfahrungen aus diesen ehelichen Übergänge gibt (zur Perspektive von Kindern dazu vgl. die Übersicht von Hetherington, Stanley-Hagan und Anderson, 1989), sind Langzeitstudien, die sich das Erwachsenleben von Scheidungskindern angesehen haben, rar.

Wir teilen eine Besorgnis mit Wallerstein und Blakeslee (1989), die jetzt ihre Untersuchungen über junge Erwachsene (in ihren 20-ger Jahren), die den Zusammenbruch ihrer Familie im Kindes- oder Jugendlichenalter erfahren haben, publiziert haben. Sie finden in einer klinischen Stichprobe, was wir in einer vollständigen Kohorte eines Geburtsjahrganges finden: Die psychologischen Auswirkungen elterlicher Scheidung reichen in das Erwachsenenleben und können bei einem signifikanten Teil der Männer und Frauen die Etablierung starker und naher Bindungen beeinträchtigen. Weil elterliche Scheidung gegenwärtig der herausragendste Risikofaktor für Kinder in unserer Gesellschaft ist, erfordern die Langzeitauswirkungen auf die Kinder mehr Aufmerksamkeit.

   Das wirklich Bemerkenswerte an der Arbeit der beiden Psychologinnen Werner und Smith und ihrer Mitarbeiter im Vergleich zu der ebenfalls wichtigen Arbeit von Wallerstein et al, die eher eine biographische Darstellung einzelner Fälle ist, ist die streng wissenschaftliche, empirisch-statistische Methodik der sog. Kauai Studie, abgesehen von der Dauer von fast 40 Jahren dieser Langzeitstudie (in der Fachliteratur meist "Längschnittuntersuchung", oder Englisch "longitudinal study" genannt). Das erforderte einen sehr hohen Aufwand, der sicher nicht leicht zu leisten war. Es wurde das Leben und die Umgebung von 505 Kindern, die 1955 auf der Hawai Insel Kauai geboren wurden, von der vorgeburtlichen Phase bis in das Erwachsenenalter regelmässig untersucht, nicht nur durch Befragungen der Kinder und ihrer Eltern, Lehrer etc., sondern auch durch Kinderärzte und Einsicht in verschiedene behördliche oder gerichtliche Akten. 

Unter den wichtigsten Faktoren für eine positive Entwicklung von Risikokindern waren, dass sie zumindest eine wichtige Bezugsperson hatten, selbst wenn diese außerhalb der eigenlichen Familie war, z. B. eine Lehrperson, Geistlicher, oder sogar beim (in den USA freiwilligen) Militärdienst, und natürlich auch, wenn sie (im etwas reiferen Alter) einen sie unterstützenden Lebenspartner gefunden hatten. Als sehr wichtig erwies sich auch, dass sie in der Lage waren, sich von den Konflikten und Problemen in ihren Herkunftsfamilien möglichst früh und deutlich zu distanzieren.

 Ganz wesentlich für die Vorhersehbarkeit der Entwicklung erwies sich dabei auch, nicht nur die Risikofaktoren und positiven Umstände zu einem gegebenen Zeitpunkt, in der frühen Kindheit, oder unmittelbar nach Trennung / Scheidung der Eltern zu betrachten, sondern diese Faktoren zu  möglichst vielen Lebensabschnitten einfließen zu lassen. Dadurch wurden sehr hohe "Trefferraten" (Korrelationen) der Voraussagbarkeit erzielt, z. B. einer positiven Entwicklung mit stabilen familiären Beziehungen und beruflichen Erfolg, selbst wenn sich das häufig erst sehr spät (Ende 20 / Anfang 30) abzeichnete.

Dieses facettenreiche Buch, ein Standardwerk, speziell zur Resilienzforschung in der Entwicklungspsychologie, mit hohem wissenschaftlichen Anspruch, mag nicht einfach zu lesen sein. Es ist aber wirklich lohnenswert und wichtig, weil es Möglichkeiten einer wirksamen Jugendhilfe, oder auch der Hilfe für eigene, von Risikofaktoren, wie Trennung / Scheidung, betroffene Kinder, aufzeigt. Zugleich macht es deutlich, wie vordringlich, weitere solche, wissenschaftlich gut fundierte Langzeitstudien wären, selbst wenn sie einen hohen Aufwand erfordern, um die Möglichkeiten einer wirksamen Jugendhilfe, oder die "Weisheit" richterlicher Entscheidungen zum Zeitpunkt der elterlichen Trennung / Scheidung bezüglich ihrer langfristigen Auswirkungen zu erkennen.       

Die wichtigen Fragen nach den Langzeitfolgen einer Trennung oder Scheidung sollten möglichst auch nach streng wissenschaftlichen, empirisch-statistischen Methoden untersucht werden, obwohl dies einen hohen Aufwand erfordert, der verständlicherweise nicht immer leicht zu leisten ist. Im Vergleich zu rein naturwissenschaftlichen Experimenten, die im Prinzip wenigstens, völlig reproduzierbar beliebig oft wiederholt werden können, ist es allein schon meist schwierig eine genügend große Kohorte zu finden, zu der noch dazu eine außerhalb des Fragenbereichs liegenden Kontrollgruppe gehören sollte. Sie ist deshalb nicht selten beunruhigend klein, für jemand mit Erfahrung in mathematischer Statistik wenigstens.

Längschnittstudien (longitudinal studies), die sich speziell mit der Resilienz von Scheidungskindern und den dafür verantwortlichen Faktoren befassen gibt es erst wenige, denn der Aufwand für Langzeitstudien ist im Vergleich zu Querschnittstudien (Untersuchung zu einem bestimmten Zeitpunkt) erheblich. Bei solchen Studien sollte ja eine für das untersuchte Problem repräsentative, möglichst große Gruppe (Kohorte), einschließlich einer nicht betroffenen Kontrollgruppe, wiederholt über einen möglichst langen Zeitraum untersucht werden, um die Entwicklung, einschließlich der dafür wesentlich verantwortlichen Faktoren verläßlich zu erkennen. Verluste, durch Ausscheiden aus der Kohorte, nehmen mit der Zeit unvermeidlich zu, sollten aber möglichst gering gehalten werden, was zusätzlichen Aufwand bedeutet. Außerdem ist es wichtig eine Vielzahl möglicher Risiko-und Schutzfaktoren zu erfassen. Es zeigt sich nämlich, dass es keine herausragenden einzelnen Faktoren gibt, sondern es wesentlich auf die Gesamtzahl der Faktoren ankommt. Arnold Sameroff, "Identifying  Risk and Protective Factors for Healthy Child Development"  (Kap. 3 in Families Count, 2006,  s.o.) findet sogar eine lineare Beziehung zwischen der Zahl solcher Faktoren und dem negativen bzw. positiven Befund. 

 
Die Kölner Längsschnittstudie zur Entwicklung von Trennungs- und Scheidungsfamilien (Ulrich Schmidt-Denter, Kapitel 14  in Klaus A. Schneewind, Hrsg., Familienpsychologie im Aufwind. Brückenschläge zwischen Forschung und Praxis. Hogrefe Verlag, 2000, S.203 -221) ging von einem Drei-Phasenmodell des Trennungs- /Scheidungsgeschehens aus (nach Wallerstein & Blakeslee, 1989: akute Phase, Übergangsphase und eine durch Stabilisierung und Normalität gekennzeichnete Phase). Dementsprechend wurden 3 Erhebungen gemacht, mit (zum ersten Messpunkt) 60 Trennungsfamilien, aus denen sowohl Mutter, Vater und 1 Kind (alle lebten bei der Mutter) teilnahmen. Anders als erwartet zeigte sich jedoch bei der dritten Erhebung, etwa 4 Jahre nach der Trennung, dass von einer Restabilsierung im Sinne von Hetherington und Wallerstein noch nicht gesprochen werden konnte (erst die Hälfte der Paare war überhaupt schon geschieden). Daher erwies sich eine vierte Untersuchung, etwa sechs Jahre nach der Trennung als absolut notwendig. Daran nahmen noch 46 Kinder, 46 Mütter und 37 Väter teil, sowie neue Partner/innen.  Dabei zeigte sich, dass 70 % der Kinder an einem binuklearen Familienkonzept mit Einbezug von Mutter und Vater (bei der Hälfte der Kinder auch erweitert um neue Partner/innen der Eltern) festhielten (obwohl sie alle bei der Mutter lebten), während die Eltern sich meist neu, hin zu neuen Partnern, orientiert hatten. Über alle Messzeitpunkte hinweg ließ sich die herausragende Bedeutung nicht nur der direkten Eltern-Kind-Beziehung, sondern auch der indirekten Effekte, vermittelt durch die elterliche Paarbeziehung nach der Trennung, auf die kindlichen Verhaltenssymptome und deren zeitliche Abnahme belegen. Dementsprechend war eine Abnahme dieser Symptome nur bei einem Teil der Kinder nachzuweisen. Die Untersuchungen stützen konsensorientierte Sorge-/Umgangsrechtsverfahren und ein problemorientiertes Beratungsmodell zur Elternbeziehung und Orientierung auf die Sichtweise des Kindes.  

 Children’s Adjustment Following Divorce: Risk and Resilience Perspectives by Joan B. Kelly and Robert E. Emery, Family Relations, 2003, 52, 352–362 zeigt an Hand sehr umfangreicher Literaturangaben, dass viele Faktoren die Langzeitscheidungsfolgen beinflussen. So bedeutet z. B. fortgesetzter Nachtrennungskonflikt zwischen den Eltern nicht unbedingt vermehrte Probleme für die Kinder, wenn es ihnen gelingen sollte, die Kinder aus diesem Konflikt herauszuhalten, nicht zu instrumentalisieren. Viele Eltern haben gute parallele Beziehungen zu ihren Kindern, ohne wesentliche Kontakte zwischen ihnen selbst. Es kommt wesentlich auf die Qualität der Beziehung zwischen Kind und den jeweiligen Elternteil (Wohnelternteil, abwesender Elternteil) an. Dieser komplexe Sachverhalt läßt eine Vielzahl von Interpretationen zu, wenn einzelne der Faktoren willkürlich herausgegriffen werden, oder nach dem bekannten Motto ,,Das Glas ist halb voll bzw. halb leer" die Tatsache, dass Trennung/Scheidung der Eltern ein durchschnittlich etwa zweifach erhöhtes Risiko für eine Reihe von Verhaltensproblemen darstellt und dieses Risiko durch nachehelichen, aber auch vorehelichen Konflikt zwischen den Eltern wesentlich erhöht werden kann (auch dazu umfangreiche Literaturangaben) auch darin interpretiert wird, dass vielleicht 80% Prozent der Scheidungskinder (statt 90% der Kinder aus intakten Familien) keinerlei Verhaltensauffälligkeiten/psychische Probleme zeigen, eine Tendenz die in dieser Arbeit (und in dem Buch von Hetherington & Kelly, 2002) wohl auch erkennbar ist. 

Besonders interessant ist aber die Diskussion der verschiedenen Faktoren die eine Resilienz (Widerstandstandsfähigkeit) der "Scheidungskinder" gegen die Stressfaktoren von Trennung / Scheidung ermöglichen. Wichtig erscheint uns auch die deutliche Unterscheidung zwischen Verhaltensauffälligkeiten / psychischen Problemen als Folge von Trennung / Scheidung und schmerzhaften Erinnerungen / Traurigkeit auch bei schon längst erwachsenen "Scheidungkindern", der ein eigenes Kapitel gewidmet ist . Da zeigt sich im Nachhinein z. B.. dass man sich meist weit mehr Kontakt zum Nichtwohnelternteil (meist der Vater) gewünscht hätte, auch im Rahmen des sogenannten Wechselmodells (joint physical residence) das in den USA sehr häufig praktiziert wird, obwohl die Kinder da nicht selten beträchtliche Entfernungen überwinden müssen.  Zum Teil heftig kritisiert wird dabei die Langzeitstudie von Wallerstein et al (obwohl es zahlreiche gemeinsame Arbeiten von Kelly &Wallerstein gibt), was die Auswahl der Kinder und ihrer Eltern betrifft, die zum Teil erheblich psychisch gestört gewesen sein sollten, also nicht repräsentativ wären (obwohl in der Studie auch ein Vergleich mit Kindern aus derselben Umgebung, aber aus intakten Ehen angestrebt worden war).
Diese sehr lesenswerte Arbeit zeigt uns wiederum, dass der Sachverhalt sehr komplex ist, daher zum einen Untersuchungen die (aus technischen Gründen) die einzelnen Faktoren nicht streng differenzieren nur Hinweise auf eine allgemeine Tendenz aufzeigen können (z. B. die Unterscheidung "intakte Ehe", "gute" Scheidung, "schlechte" Scheidung bei Marquardt 2005, oder ähnlich bei Wallerstein et al.), anderseits aber Arbeiten, die bewusst Einzelfaktoren herausgreifen auch mit erheblicher Vorsicht zu geniessen sind, nicht zuletzt weil sie sehr leicht für politische / ideologische Zwecke missbraucht werden können.
 

Das bereits erwähnte Buch " Families Count, Effects on Child and Adolescent Development "  (2006) enthält im Kapitel IV, Discord and Divorce, 3 Längsschnittstudien zu den Risikofaktoren und der Resilienz von Scheidungskindern:

  Paul R. Amato, Marital Discord, Divorce, and Children's Well-Being. Results from a 20- Year Longitudinal Study. S. 179 -202. 

  E. Mavis Hetherington, The Influence of Conflict, Marital Problem Solving and Parenting on Childrens's Adjustment in Nondivorced, Divorced and Remarried Families, S. 203 -237,

  Sabine Walper and Katherina Beckh, Adolescents' Development in High-Conflict and Separated Families.  Evidence from a German Longitudinal Study, S. 238 -270.

Eine aktuelle Zusammenfassung verschiedener Forschungsergebnisse ist in Sabine Walper / Alexandra Langmeyer, Auswirkungen einer elterlichen Scheidung auf die Entwicklung der Kinder. Zum Stand der Familienforschung, Zeitschrift für Kindschaftsrecht und Jugendhilfe, 3, S. 94 -97, 2008 enthalten.

Allen Arbeiten ist, wie schon bei der Kölner Längschnittstudie (s. o.) hervorgehoben, die Erkenntnis gemeinsam, dass die Auswirkungen einer elterlichen Scheidung (oder Trennung) auf die betroffenen Kinder im hohem Maße von der Gestaltung der Beziehung zwischen den Eltern und der Eltern-Kind Beziehung abhängen. Risiken werden veringert, wenn es gelingt Konflikte zwischen den Eltern zu entschärfen, auch wenn es darum geht den Kindern den Kontakt zu beiden Eltern zu ermöglichen und diesen aufrecht zu erhalten. Aus dieser Erkenntnis heraus, sind in z. B. den USA, anders als leider in Deutschland (auch nach der FGG-Reform 2009, die verstärkt auf Beratung, Mediation setzen wird) strukturierte Elternprogramme über Scheidungsfolgen für die Kinder, mit genau spezifierten Anforderungen an Inhalt und Qualifikation der Berater, seit langem fast überall als Scheidungsvoraussetzung obligatorisch, vielfach auch eine Mediation, d.h., weil Mediation letztlich auf Freiwilligkeit beruht, zumindest ein ernsthafter Versuch damit (abgesehen selbstverständlich von gravierenden Fällen häuslicher Gewalt.etc., Fällen die in Deutschland von gewissen Gruppen gerne als ausnahmsloses Argument gegen jede Art von verpflichtender Beratung, oder "Zwangsberatung / Zwangsmediation" in deren Diktion, benutzt werden.) Amato weist auch auf Ehe vorbereitende Programme  hin, die gegenwärtig in den USA großflächig dahingehend evaluiert werden, inwieweit sie tatsächlich zu stabileren Ehen beitragen.

Amato findet aus der "Marital Instability Over Life Course study (mit Erhebungen in 1983, 1988, 1992, 1997 und 2000) in Übereinstimmung mit anderen Studien, dass unter einer Scheidung die Vater-Kind-Beziehung, ganz besonders zu einer Tochter, weit stärker leidet als die Beziehung zur Mutter. (Inwieweit das mit der weit überwiegenden Sorgerechtverteilung, mit der Mutter als Wohnelternteil zusammenhängt, wird nicht erläutert. 85 % der Kinder in dieser Studie lebten ausschließlich bei der Mutter.) Die Verschlechterung der Beziehung zum Vater ist umso gravierender je jünger das Kind bei der Trennung war.  

Hetherington untersucht die Veränderungen zwischen früher (Durchschnittsalter 11.7 und durchschnittlich 5.4 Jahre nach der Scheidung der Eltern) und später Adoleszenz (Durchschnittsalter 15.6) in Abhängigkeit vom Konfliktpotential zwischen den Eltern, Scheidung oder nicht, und Zusammensetzung der Familie nach einer Scheidung (Stiefeltern, Patchwork Familien). Aufmerksamkeit widmet sie auch dem Stil der Konfliktbewältigung zwischen den .Eltern und unterscheidet zwischen "hostile-confrontational", "hostile-withdrawn", "engaged" und "avoidant",  wobei ersterer bei 34  / 20 % der Frauen / Männer gefunden wird, also bei Frauen dominant ist, während  der zweite, des feindlichen Rückzugs, bei Männern mit  38 / 20 % dominiert. Ein feindlich-konfrontierender Problemlösungsstil der Frau war auch mit einem irritierten, unterdrückenden Erziehungstil verbunden (spillover effect).

In der von Walper und Beckh vorgestellten deutschen Längsschnittstudie ,,Family Development after Parental Separation"  waren die 749 Kinder zu Beginn (1996) zwischen 9 und 18 Jahre  alt, zu etwa gleichen Teilen aus intakten Familien, Mütterhaushalten und Stieffamilien. Weitere Untersuchungen der Kohorte folgten in 1997 ( 63.7 % der Kinder konnten noch kontaktiert werden) und 2002 (mit 59.3 % der Kinder). In der Mehrzahl der Fälle nahmen auch die Mütter an den Untersuchungen teil, in weniger Fällen auch die Väter oder Stiefväter.  Negative Entwicklungen (geringeres Selbstwertgefühl, depressive Symptome) waren im deutlichsten, wenn es in diesem Zeitraum Wechsel in der Familienzusammensetzung, vor allem Trennung vom oder Wechsel des Partners der Mutter (Stiefvater) gab.  Auch diese Untersuchung bestätigt den schon erwähnten spillover effect vom  hohem Konfliktpotential zwischen den Eltern zu  verschlechterten Eltern-Kind-Beziehungen und belastendem Erziehungstil. Auswirkungen auf die späteren romantischen Beziehungen der davon betroffenen Kinder waren besonders deutlich.

Unterschiedliches Augenmerk wird in den verschiedenen Arbeiten auf die Konfliktlage vor der Trennung gelegt (oder auch in Familien, in denen es trotz hohem Konfliktpotential zu keiner Trennung kommt). Walper et al  betonen etwa, dass eine durch die Trennung bedingte Entllastung von einem hohen Konfliktpotential positive Entwicklungschancen für die Kinder bedeuten kann, während bei niedrigem Konfiktpotential vor der Trennung, also mit  Eltern, die sich ohne für die Kinder erkennbare Konflikte getrennt hatten (deren Beziehung aber zerüttet war), später, bei den dann jungen Erwachsenen sogar eher Belastungen zu finden sind, die sich auf den Erfolg in Bildung und Beruf und ihre eigenen Partnerschaften auswirken. (Das spricht natürlich nicht für ein hohes Konfliktpotential vor der Trennung, sondern dafür, auch den Kindern das Scheidungsgeschehen verständlich zu machen.)    

   Obwohl die Auswirkungen eines hohen, fortgesetzen Konfliktpotentials zwischen den Eltern auf Verhaltensauffälligkeiten der Kinder in allen Arbeiten deutlich werden und einzelne auch die dadurch bedingte Beeinträchtigung der Eltern-Kind-Beziehung, besonders zum Vater, erwähnen, gibt es leider bisher keine ausreichenden Längschnittstudien, die sich detailliert und spezifisch mit den Auswirkungen einer besonderen Form des Elternkonfliktes und der Eltern-Kind-Beziehung befassen, wie er dem Parental Alienation Syndrome zu Grunde liegt. Lediglich A. Napp-Peters hat ihre frühere Langzeitstudie, 12 Jahre ab 1980, (vgl. unseren Bericht  aus 1996) in ihrer Arbeit aus 2005, Mehrelternfamilien als "Normal"- Familien - Ausgrenzung und Eltern- Kind-Entfremdung nach Scheidung, Praxis der Kinderpsychologie und Kinderpsychiatrie, 10/05, S. 792-801, mit expliziten Hinweisen  zum  PAS Phänomen, insbesondere in "Mehrelternfamilien" (d.h. mit neuen Partnern der Eltern, Stiefeltern), ergänzt. 

Der Mangel an streng empirisch-statistischen Studien, insbesondere von Längsschnittstudien, ist einer der häufigsten und nicht ganz unberechtigten Kritikpunkte in der immer noch ziemlich kontrovers geführten Debatte um das Phänomen der Eltern-Kind-Entfremdung (PAS), selbst wenn nur wenige die klinischen Erfahrungen wenigstens in ihren Grundzügen bestreiten werden, die der Psychiater R.A. Gardner etwa 1984 erstmals unter dem Namen Parental Alienation Syndrome zusammenfasste. R. A. Gardner war sich dieses Mangels aber durchaus bewusst. Klinische Beobachtungen und psychologische Theorien liefern als Arbeitshypothesen die wichtigen Grundlagen für den Entwurf einer systematischen, empirisch.statistischen Untersuchung. Letztere ist aber notwendig um die tatsächliche Etiologie (Herkunft, Ursache) und die Wirksamkeit einer Therapie festzustellen. 

Vgl. zu dieser Kritik an PAS  und zur wissenschaftlichen Methodik unseren Bericht und den Aufsatz von Warshak (2005), der auch die bisherigen empirischen Untersuchungen wissenschaftlich-systematisch zusammenfasst. 

Wesentlich weniger aufwendig als eine Längschnittstudie über eine lange Periode ist es einen Querschnitt zu einem gegebenen Zeitpunkt durch strukturierte Interviews zu erfassen. Auch solche Befragungen können sehr interessante Ergebnisse liefern. Wir möchten hier (in Zukunft) empirische Studien zu PAS vorstellen:

Zunächst ist hier die Untersuchung der Psychologin Amy J. L. Baker, Ph.D, die nach einem Aufruf  40 Erwachsene im Alter zwischen 19 und 57 Jahren fand, die als Kind die Entfremdung von einem Elternteil (PAS) erfahren hatten und die auch zu ausführlichen, semi-strukturierten Interviews bereit waren, die auf Tonband aufgenommen und dann methodisch ausgewertet wurden. Daraus sind mehrere Arbeiten (2005, 2006) entstanden, die verschiedene Aspekte dieser umfangreichen Interviews beleuchten. Im Internet bisher vollständing abrufbar ist die Arbeit:  

Amy J. L. Baker, PhD,  The Cult of Parenthood. A Qualitative Study of Parental Alienation, Cultic Studies Review, Vol. 4, Nr. 1, 2005 . Es wurden die entfremdenden Elternteile als sehr ähnlich Sektenführern beschrieben, weil sie die selben Techniken der emotionalen Manipulation und Indoktrination benützten, um die Abhängigkeit des Kindes von ihnen zu verstärken. Sie seien narzistisch und würden exzessiv Zuneigung und Loyalität, insbesondere auf Kosten des anderen, entfremdeten Elternteiles, einfordern. 

Von weiteren 4  Publikationen aus dieser Befragung sind zumindest die Zusammenfassungen aus dem Internet  abrufbar (vgl. unsere Literaturliste zu PAS), darunter: 

 Amy J. L. Baker,  The Long-Term Effects of Parental Alienation on Adult Children: A Qualitative Research Study, American Journal of Family Therapy,  Volume 33, Number 4 / July-September 2005. Es wurden 7 wesentliche Folgen gefunden: 1. Niedriges Selbstwertgefühl, 2. Depression 3. Drogen/Alkohol Missbrauch 4. Mangel an Vertrauen 5. Entfremdung von den eigenen Kindern 6. Scheidung  7. Andere.

 Was die Autorin selbst als Einschränkung ihrer Studie beschreibt ist u.a.das Fehlen einer Kontrollgruppe von "Scheidungskindern", die keine Eltern-Kind-Entfremdung (PAS) durchmachten. Sie vermutet aber, was ja durch die schon erwähnten allgemeineren Studien bestätigt wird, dass u.a. niedrigeres Selbstwertgefühl und geringeres Vertrauen allgemeine Langzeitfolgen der Scheidung der Eltern sind. In welchen quantitativen Maße sich die Langzeitfolgen bei PAS- und Nicht-PAS Scheidungskindern unterscheiden, bleibt also in dieser Untersuchung leider offen, obwohl zu vermuten ist, dass sie bei PAS-Kindern wesentlich gravierender sind. Diese Kinder haben ja zusätzlich die Ablehnung und meist auch direkte Verunglimpfung eines einst ebenso geliebten Elternteils durch den anderen Elternteil und damit erhebliche Loyalitätskonflikte, die Trennung vom Zielelternteil der Entfremdung, möglicherweise Schuldgefühle daraus, und eine ingesamt schwierigere (pathologische) psychische Situation beim entfremdenden und meist Wohnelternteil zu verarbeiten.     

Ihre Ergebnisse hat Amy J. L. Baker in dem Buch Adult Children of Parental Alienation Syndrome. Breaking the Ties that Bind. W. W. Norton & Company, New York, London 2007.  A Norton Professional Book  ISBN-13: 978-0-393-70519-5; ISBN-10: 0-393-70519-6 (32.00 US $) 303 Seiten, zusammengefasst. (vgl. VfK Rezension). 

Die Entführung eines Kindes durch einen Elternteil, meist in das Ausland, ist eine besondere und sehr schlimme Form von Eltern-Kind-Entfremdung und seelischer Misshandlung. Der entführende Elternteil muss ja dann dem Kind notwendigerweise die Abwesenheit und den kompletten Kontaktabbruch zum anderen Elternteil "erklären", derart, dass er/sie besonders schlecht sei, vom Kind nichts mehr wissen wolle, oder gar verstorben sei.  Einen Eindruck, was das für das Kind auch noch im Erwachsenenalter bedeutet kann man aus dem wirklich bewegenden Film ,,Victims of Another War. The Aftermath of Parental Alienation" (30 min) gewinnen, der von der gemeinützigen Organisation PACT  (gegr. in 2000 von Lady Meyer) hergestellt wurde. Regissseur ist Glenn Gebhard. Kommentator: Michael York. Die DVD (30 min) kann online bei PACT bestellt werden, Preis  £5.00+Porto (insges. etwa 13 €). Sprache: Englisch mit Untertiteln in Deutsch, Französisch oder Spanisch. Gezeigt werden Interviews mit 3 inzwischen erwachsenen, betroffenen Kindern, darunter Cecilie Finkelstein (Norwegen), die auch auf der Frankfurter PAS Tagung (2002) einen besonders bewegenden Bericht über ihr Schicksal als entführtes und entfremdetes Kind gegeben hat (vgl. Konferenzband, S. 175-185, und 367-371). 
Eine Selbsthilfeorganisation, die speziell Erwachsenen (ab 18) bei der Bewältigung ihrer durch eine Entführung im Kindesalter verursachten psychischen Probleme helfen will, ist Take Root. Auf deren Webseite sind u.a. die Fallgeschichten einer Reihe ihrer Mitglieder als Bericht oder Filmclip zu finden. Die Verletzungen dauern ein Leben lang an, ist eine übereinstimmende Aussage. Ein bereits im Aufbau begriffenes Projekt
"KID GLOVES FOR HANDLING ABDUCTED CHILDREN" soll die einzenen Phasen der Entwicklung an Hand der Aussagen Betroffener (filmisch) darstellen und Therapiemöglichkeiten aufzeigen. 

 vgl. dazu auch: 
Barbara Bevando Sobal, Esq., and William M. Hilton, Esq., CFLS, "Article 13(b) of "The Hague Convention Treaty: Does It Create A Loophole for Parental Alienation Syndrome ('PAS') - An Insidious Abduction?", The International Lawyer (Fall, 2001), Vol. 35 No 3, pp. 997 -1025; and published in the special "Best of ABA (American Bar Association) Section" of GP Solo Magazine (September 2002, Volume 19, Number 6).Barbara Bevando Sobal, Parental Alienation Syndrome & International Child Abduction: a Multi-generational Syndrome." Chapter 33 in: Gardner, R., Sauber, R., & Lorandos, D. (Eds.) (July 2006) The International Handbook of Parental Alienation Syndrome: Conceptual, Clinical and Legal Considerations, Springfield Illinois, Charles C. Thomas Publisher, Ltd. 

Weitere empirische Untersuchungen zu PAS finden sich in unserem kommentierten PAS Literaturverzeichnis. Bisher sind das leider alles nur Querschnittstudien (zu einem bestimmten Zeitpunkt), nicht Längschnittstudien, die den langfristigen Verlauf und die dafür verantwortlichen Faktoren direkter beleuchten würden. Ein weiteres PAS spezifisches Problem ist, dass sich an solchen empirischen Untersuchungen in erster Linie nur die Zielelternteile der Enttremdung freiwillig beteiligen, betroffene Kinder meist erst im (jungen) Erwachsenenalter, aber es kaum gelingt auch den PAS auslösenden anderen Elternteil einzubeziehen. Bei Aussagen von letzteren ist man praktisch immer allein auf Gerichtsakten und Erhebungen im Rahmen einer psychologischen Begutachtung oder psychiatrischen Untersuchung angewiesen.

 


wird fortgesetzt.
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