Stellungnahme des Vorsitzenden von Väter für Kinder zum Urteil Elsholz v.
Deutschland am European Court of Human Rights in Straßburg

 

Es ist mehr als zehn Jahre her, daß ich begonnen habe, mich für das Recht des Kindes auf beide Eltern einzusetzen und gegen die im Familienrecht herrschenden Zustände in diesem Lande gewendet habe. Damals, noch zu Genschers Zeiten, leuchtete es mir nicht ein, daß sein Ministerium offenbar völlig desinteressiert daran war, daß in der BRD Menschenrechtsverletzungen permanent und in großer Zahl stattfanden. Auf ein entsprechendes Schreiben erhielt ich von einem Mitarbeiter des Ministeriums ein seltsames Schreiben, in dem halbherzig meine Vorwürfe zurückgewiesen wurden, aber gleichzeitigzwischen den Zeilen erkennbar wurde, daß der Schreiber aus eigener Anschauung in seiner Familie die von mir beklagten Zustände bei einem jungen Verwandten beobachte und wohl verstünde, worauf sich meine Vorwürfe bezögen.

    Mit einem etwas späteren Schreiben an das gleiche Ministerium mit der gleichen Klage geriet ich an einen Mitarbeiter, der mich in herablassend arrogantem Tone über die Lächerlichkeit und Dümmlichkeit meiner Vorwürfe belehrte und mich hohnvoll aufforderte, doch in Straßburg vorstellig zu werden, um mich von der Absurdität meiner Vorwürfe zu überzeugen. Nun, die Langwierigkeit und Mühseligkeit der Prozeduren berücksichtigend hat dieser Herr aus dem damaligen Auswärtigen Amt die ihm gebührende Antwort in relativ kurzer Zeit erhalten:

DER GERICHTSHOF STELLT IM FALLE ELSHOLZ FEST, DASS DIE RECHTE AUS ARTIKEL 8 (UNVERLETZLICHKEIT DER FAMILIE) VERLETZT WORDEN SIND, UND DASS WEITERHIN DAS RECHT AUS ARTIKEL 6 §1 (AUF EIN FAIRES, OEFFENTLICHES VERFAHREN) VERLETZT WORDEN IST!!!

Der Fall Elsholz ist ein "Wald- und Wiesenfall", d.h. da ist nichts in Deutschland außergewöhnliches passiert, oder anders ausgedrückt: da es hunderte, ja tausende solcher Fälle gibt, werden Artikel 8 und Artikel 6 der EMRK systematisch in diesem Lande verletzt. Eine Behauptung, für die ich mich von vielen, z.B. dem oben erwähnten Herren, habe anrüpeln lassen müssen. Ich mache aus meiner Genugtuung über dieses Urteil kein Hehl! Es ist auch kein Geheimnis, daß noch weitere Fälle aus Deutschland (Familienrecht betreffend) auf der Terminliste des Gerichtshofes stehen. Mit großer Spannung sehe ich diesen Fällen entgegen.

Eine ausführliche rechtliche Würdigung dieses Urteiles aus der Sicht von Väter für Kinder e.V. wäre sicher für viele Besucher unserer Internetseiten von Interesse, doch scheint es in Hinblick auf die noch anstehenden Urteile sinnvoll, eine solche Würdigung erst nach der
Veröffentlichung dieser anderen Urteile in einem Zuge vorzunehmen. Eines fällt aber im Urteilstext zum Fall Elsholz v. Deutschland auf:

Ein von der Kommission (die den Fall zuvor behandelt und dann an den Gerichtshof verwiesen hatte) gesehene Verletzung von Artikel 8 in Verbindung mit Artikel 14 (Diskriminierungsverbot, hier Diskriminierung eines unverheirateten Vaters gegenüber einem verheirateten/geschiedenen) wurde vom Gerichtshof verneint, da trotz der erkennbaren Verschiedenheit der (damals gültigen) Gesetzestexte, soweit sie sich auf diese beiden Fälle bezogen, der Gerichtshof zum Schluß kam, daß es Elsholz als einem verheirateten/geschiedenen Vater wohl nicht anders ergangen wäre!

Ich lese daraus die Schlußfolgerung ab, daß die im Ergebnis vergleichbaren Fälle von verheirateten/geschiedenen Vätern der gleichen Einschätzung seitens des Gerichtshofes unterliegen würden. Da mindestens einer der noch anstehenden Fälle (mir nicht durch Indiskretionen sondern durch Hilfestellung für den Kläger bekannt) von dieser Art ist, sehe ich dem Ausgang dieses Falles mit einigem Interesse entgegen.

Die eben erläuterte Wertung des Straßburger Gerichtshofes erscheint mir als ein wichtiger Punkt, denn sie läßt erkennen, daß das Gericht nicht der Ansicht war, daß Elsholz ein singulärer Fall war, wie er selbst im menschenrechtsfreundlichsten Lande immer mal vorkommen kann, sondern sogar die Meinung vertritt, daß er als verheirateter/geschiedener Vater gleichermaßen behandelt worden wäre. Eine solche Einschätzung kann man nur vertreten, wenn man das deutsche Recht und die deutsche Rechtsprechung auf dem einschlägigen Gebiet aus prinzipieller Sicht bewertet. Ein solcher Schluß kann sich aus Gründen der inneren Logik niemals auf einen singulären Fall stützen.

Juristisch nicht bewanderte Betroffene werden entweder mit dem Text des Urteiles wenig anzufangen wissen, oder den Eindruck gewinnen, daß dieses Urteil butterweich ist und dem Gewicht der permanenten, systematischen Menschenrechtsverletzungen in diesem Lande nicht gerecht wird. Das ist eine verständliche Haltung, aber sie verkennt die besonderen Verhältnisse politischer und rechtlicher Art, unter denen der Gerichtshof arbeiten muß. Unter Berücksichtigung aller Umstände halte ich dieses Urteil für einen Meilenstein, der über Jahre hinweg eine zwar subkutane aber bahnbrechende Wirkung entfalten wird.

DAS MÄRCHEN VOM MENSCHENRECHTSKONFORMEN DEUTSCHEN FAMILIENRECHT IST JEDENFALLS DEMONTIERT!

Die aus dem Urteilstext erkennbare Hilflosigkeit der Reaktion der Deutschen Bundesregierung zeigt, wie sehr der Sturz vom hohen Roß schmerzt. Wie das Leben so spielt, hat sich dies überschnitten mit einer bisher beispiellosen außenpolitischen Bedrängnis, über die auch in den Medien ausführlich, wenn auch nicht immer objektiv, berichtet wurde, einer Bedrängnis, die darin bestand,daß ein amerikanischer und ein französischer Präsident sich genötigt sahen, in aller Öffentlichkeit Kritik an der Haltung deutscher Gerichte bei der Anwendung des Haager Abkommens zu üben.

Abschließend möchte ich nicht versäumen darauf hinzuweisen, daß der Fall Elsholz von Dr. Peter Koeppel, dem Gründer und ersten Vorsitzenden von Väter für Kinder e.V. in Straßburg vertreten worden ist. Diesen Hinweis möchte ich nicht zuletzt an jene richten, die der seit der Gründung des Vereines verfolgten Linie, beharrlich und auf hohem Niveau, mit seriösen Argumenten, aber ohne plakative oder marktschreierische Aktionen gegen das etablierte System zu kämpfen, jede Aussicht auf Erfolg abgesprochenund als eine Art von "Gschaftlhuberei" eingeschätzt haben. Es ist nicht zuletzt dem Einsatz von VfK zu danken, daß die in den 70er und 80er Jahren in Deutschland im öffentlichen Bewußtsein weitgehend ausgeblendetenMenschenrechtskonventionen wenigstens so weit bekannt geworden sind, daß sich schließlich Betroffene ein Herz gefaßt haben und den langen und beschwerlichen (und kostspieligen) Weg über diese supranationalen Instanzen eingeschlagen haben. An den Journalisten Ullmann, der als erster mit diversen Publikationen auf die Bedeutung der Menschenrechte in diesem Zusammenhang hingewiesen hat und dafür vom Establishment als Exzentriker (ich habe bewußt ein zurückhaltendes Wort gewählt) verlacht wurde, sei hier der historischen Korrektheit zuliebe auch nochmals erinnert.

Michael Reeken
Vorsitzender von VfK